Vor drei Jahren

Thema:

Es gibt nicht viele Tage, die unser Leben verändern. D.h. natürlich verändert jeder Tag irgendwie unser Leben, aber es gibt nicht viele Tage, bei denen wir es spüren, beobachten, an denen wir diese Veränderung sehen. Der Fall der Mauer in Berlin, das war so ein Tag, denn in dem Moment, als im Radio die ersten Berichte kamen, dass die Mauer “gefallen” sei und ich später die ersten Bilder im Fernsehen sah, an diesem Tag wusste ich, wie sich unsere Welt verändern und wie sich das auf mein Leben auswirken würde. Ähnlich war es am 11. September 2001, nur noch intensiver.

Ich habe den Tag erlebt als einen der schlimmsten Tage meines Lebens. Ich sehe mich bei der Arbeit in unserem Plattenladen, wie mein Chef aus dem Obergeschoss herunterkommt und sagt, wir sollen mal im Internet schauen, in New York wäre ein Sportflugzeug ins WTC gestürzt und es würde wohl brennen. Im Internet war jedoch nach dieser Meldung nichts mehr zu erfahren, da die Newssites genauso schnell offline gingen, wie wir versuchten sie aufzurufen. Zu diesem Zeitpunkt kroch in mir schon ein sehr ungutes Gefühl den Nacken hoch, denn zu meiner Theorie einer globalen Katastrophe wie Krieg o.ä. gehörte immer, dass das Netz als erstes zusammenbricht. Wir hatten einen Fernseher im Laden, der aber nicht angeschlossen war, so dass wir erst Antennenkabel besorgen mussten, als wir die ersten Bilder einfingen, stürzte gerade die zweite Maschine in den zweiten Turm. Obwohl ich bis heute nicht weiss, ob ich das live gesehen habe, da diese Szenen derartig oft wiederholt wurden. Jedenfalls ging der Fernseher an und wir sahen dieses Bild. Und jeder der bis eben glaubte, eine verdammte Chessna wäre ins WTC irrgeflogen, wusste auf einen Schlag, dass es sich um einen Anschlag handelte. “Krieg.”, habe ich damals gestammelt in eine sich schlagartig im ganzen Laden ausbreitende Stille. Von diesem Zeitpunkt an wurde kaum mehr gearbeitet, sondern Personal und verbliebene Kundschaft versammelte sich vor dem Fernseher. Während der ersten Stunde habe ich allerdings noch einige CD’s verkauft, teilweise an Leute, die gar nicht begriffen hatten, was da überhaupt passierte, oder die es wirklich nicht interessierte (“Ja, schlimme Sache. Kann ich die anhören?”). Dann jedoch wurde es nach und nach leerer im Laden, die Leute gingen nach Hause, irgendwie hatten alle das Gefühl, sich in Sicherheit bringen zu müssen. Ich hingegen fühlte mich dort im Laden irgendwie sicherer, als zu Hause.

Ich erinnere mich an die Diskussionen, die wir hatten, während wir das Grauen anstarrten, wir mussten unbedingt reden, denn die Stille und die niederschmetternden TV-Kommentare waren sonst nicht auszuhalten, in diesen Diskussionen wurde vieles vorhergesehen, was dann auch wirklich eingetreten ist. Allerdings wurde auch viel Unsinn verzapft. Und eins kann ich niemals vergessen: das Gefühl des Schmerzes der Hilflosigkeit, jeweils als die Türme zusammenbrachen. Dieses Gefühl wiederholt sich regelmäßig seitdem, wenn die Szenen im TV wiederholt werden, selbst wenn ich Bilder davon sehe. Und mir wird noch regelmässig mulmig, wenn ich dieses verdammte Lied höre…

Wir haben den Krieg live erlebt, das hat es vorher nicht gegeben. Vielleicht lebten wir in einer besseren Welt, hätte es Liveberichterstattungen aus Hiroshima und Nagasaki, aus Birkenau und Dachau, von der Bombardierung Hamburgs und Dresdens oder von den Schlachtfeldern des 1. Weltkrieges gegeben. Vielleicht aber auch nicht, denn während ein grosser Teil der Welt eins war in den Momenten der Liveübertragung, so teilte sie sich danach umso mehr.

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