Quartier Buntekuh

Thema:

Ja, in einem solchen Quartier wohne ich, nämlich in Lübeck, Buntekuh. Und ich teile die Einschätzungen der hier herrschenden Anonymität:

Die Menschen, die hier leben, sind sich ihrer Einsamkeit und Anonymität bewusst. Eine Individualität des Einzelnen besteht und bestand natürlich immer; doch diese Individualität beschränkt sich sichtbar lediglich auf den unterschiedlichen Namen der Klingelbretter und einer Unterschiedlichkeit der Fussmatten vor den Eingängen auf diesen Laubengängen.

Ich habe das immer schon genossen, auch, als ich noch in Oldenburg i.O. eine Wohnung in der Fussgängerzone bewohnte, denn nichts hasse ich mehr, als Nachbarn ;) die aufdringlichen Wesen, die sich mal eben Zucker leihen, den Rasenmäher oder die Ehefrau. Muss eine dunkle Kindheitserinnerung sein, denn in der Reihenhaussiedlung in der ich groß wurde, wurde Nachbarschaft über alle Maßen gepflegt. Inklusive aller Streitigkeiten über den Gartenzaun und dem Gerede hinter des anderen Rücken.

Abgeschweift, mal wieder. Ob ich hier am sozialen Rand lebe? Gewissermaßen, obwohl ich mich für diese Wohnung weniger aus finanzieller Not, doch mehr wegen der sofortigen Verfügbarkeit und des Preis-Quadratmeter-Verhältnisses entschied. Und neben den im obigen Artikel geschilderten Sozialfällen leben hier viele, die am Rand der Gesellschaft nur nach alterhergebrachter Definition leben, nach einer nötigen Reformierung jener Definition wegen der Gesellschaftsreformen trifft dies nicht mehr zu. Denn unsere Gesellschaft verändert sich zusehens, und die am Rande sind irgendwie gar nicht mehr der Rand, sondern der Regelfall. Wenigverdiener, nicht aus magelder Schulbildung oder Ausbildung, sondern einfach, weil der gemeine Facharbeiter nicht mehr genug verdient, um sich sein Häuschen im Grünen zu bauen. Leute mit zwei, drei Jobs, die mit einer anonymen Wohnung einfach besser bedient sind, denn sie arbeiten eh die meiste Zeit, immer weniger Familie, immer mehr Arbeit, immer weniger Belohnung, Rekreation.

Übrigens, solcher Realismus verfliegt schnell, wenn ich über den Laubengang auf die Altstadt sehe. Und die Ganghäuse auf jener Altstadtinsel sind längst vom Arbeiterquatier zu Prestige- und Spekulationsobjekten gewandelt.

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