Von A nach B
Früh morgens 6.30 Uhr habe ich sicherlich nicht immer die beste Laune. Der Schaffner scheinbar aber schon, gut gelaunt und lachend verlangt er die Fahrausweise. Kann man sich schon fragen, woher er seine Laune nimmt, schließlich sind wir gerade erst in Hamburg Richtung Berlin losgefahren, es ist unchristlich früh, eine Hälfte des Zuges fehlt und es ist gelinde gesagt etwas eng.
„Ich hätte da mal eine Frage.“ „Na das war dann ja schon die erste Frage!“ Bitte?
„Ich hätte da mal eine Frage“, wende ich mich an den guten Mann, davon ausgehend, dass er als der rechtmäßige Vertreter der Bahn in diesem Zug berechtigt und vor allem beauftragt ist, in deren Namen aufzutreten und Informationen zu erteilen. Aber man kann sich ja irren. „Na das war dann ja schon die erste Frage“, lacht er mich an, „aber bitte fragen Sie ruhig weiter!“ Bitte? Mal davon abgesehen, dass es weder lustig noch sonderlich höflich ist, was der Typ, der mir so in seiner bunten Uniform samt den Abzeichen und dem leicht gräulichen Oberlippenbart ein wenig wie Heinz Rühmann als Hauptmann von Köpenick vorkommt, in belehrendem, leicht herrschenden Ton von sich gibt. Um diese Uhrzeit lasse ich mich nun mal erstens nicht gerne belehren und zweitens schon gar nicht falsch. „Nein, das war eindeutig keine Frage, die kommt erst noch“, versuche ich also das Gespräch an mich zu ziehen. „Es war aber fragend gestellt!“, fällt mir Heinz Rühmann alias Wilhelm Voigt ins Wort. Etwas verunsichert, auch weil ich merke, wie mein Hals langsam anschwillt, und die Ohren rot werden, schaue ich mich um. Der doofe Rentner mir gegenüber, der schon die ganze Zeit sauer war, dass wir uns zu ihm an den Tisch gesetzt haben und er deswegen seine Zeitung nicht überall ausbreiten konnte, nickt in Zustimmung für den Schaffner. Das entschärft die Situation jetzt aber auch nicht. Also dritter Versuch: „Also zunächst Mal haben Sie“, ich spreche direkt den falschen Hauptmann an, „nicht nur den Zugteil vergessen, in dem mein Platz reserviert war, sondern das WLAN geht auch mal wieder nicht. Können Sie da etwas machen?“. Das war eine Frage. Und zwar eine ziemlich wichtige. Ich meine einen Sitzplatz hatte ich ja nun, das war schon mal nicht mehr so entscheidend, aber wenn das WLAN im Zug nicht funktioniert, und das geht ja eigentlich nie, da kann ich schon mal grantig werden. Der Hauptmann von Köpenick, so forsch angesprochen, allerdings auch. „Also mit den fehlenden Wagen, die sind nun mal nicht da, da kann ich gar nichts machen…“. Also wenn man darauf aus ist, mit mir in eine ausufernde Schreierei zu geraten, dann muss man sich nur doof stelle und mich absichtlich falsch verstehen. Schließlich liegt es auf der Hand, dass ich nicht danach fragte, ob der Schaffner nicht nochmal abspringen und den fehlenden Zugteil von Hand hinter herziehen kann. „Und was das WLAN angeht, das ist Technik und wenn die nicht funktioniert, dann kann ich mich da nicht reinstecken. Also kann ich das leider gar nichts für sie tun.“ Mir schwirrt etwas de Kopf ob soviel Ignoranz. „Dann wird das ja mal wieder eine reichliche unerfreuliche Fahrt“, gebe ich eigentlich schon auf. Ich hoffe immer noch auf einen Schaffner, der mal sagt, dass er eben den Router neu starten geht und dass das Netz dann wieder geht, aber das passiert halt nie. Routerneustart wird von einem Techniker im Depot gemacht, also frühestens abends, wenn der Zug aus München wieder zurück ist. Gerade will ich mich wieder dem Offline-Entertainement (lies: aus den Fenster starren) zuwenden, da holt der Hauptmann zur endgültigen Köpenickiade aus): „Meine Aufgabe ist ja ausschließlich, Sie von A nach B zu bringen. Alles andere ist dabei erstmal nebensächlich. Hauptsache ist doch, wir fahren.“
„Meine Aufgabe ist ja ausschließlich, Sie von A nach B zu bringen. Alles andere ist dabei erstmal nebensächlich. Hauptsache ist doch, wir fahren.“
„Und das halte ich für ein Missverständnis. Für das Missverständnis, dem eigentlich alle Bahnmitarbeiter unterliegen, vom kleinen Zugschaffner bis zum Bahnvorstandsvorsitzenden, alle glauben, ihr einziger Auftrag sei, nur möglichst viele Leute auf beliebige Art und Weise von A nach B zu bringen. Und die haben dabei gefälligst das Maul zu halten. Ich frage mich zu welchem Zeitpunkt, das eigentlich jemals gestimmt hat. Als die Bahn noch Staatskonzern war? Zu Zeiten der Bundesrepublik, oder in der düsteren Zeit davor? Oder noch davor, in der Kaiserzeit? Heute jedenfalls ist das nicht mehr so! Die Preise sind gepfeffert, gerade ist er wieder angestiegen, da darf man doch erwarten—die vielen Versprechungen die einem dazu gemacht werden sollen ja auch nicht vergessen sein—dass es mehr gibt, als von A nach B gebracht zu werden: also Pünktlichkeit, Sitzplatz, Komfort, ein sauberes Klo und vor allem und erneut eben auch WLAN zum Arbeiten. Ist ja nicht so, dass ich Filmchen gucken oder Pornoseiten zu besurfen gedenke, wenn ich auf dem Weg zu Arbeit bin. Und vor allem und das ist mir äußerst wichtig, möchte ich als Kunde ordentlich behandelt werden, verdammte Scheiße noch eins!!!“, habe ich leider mal wieder nur gedacht. Der blöde Schaffner war schon längst weiter gezogen.
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