Wählen gehen?
Heute sind Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein. Der geneigte Bundesbürger steht also in der Pflicht, seine Stimme abgeben zu gehen. In irgendeiner schummrigen Schulaula muss er von seinem Stimmrecht Gebrauch machen. Dabei entscheidet er nach Tageslaune, jahrelanger aufmerksamer Verfolgung der hiesigen Kommunalpolitik oder durch das Los. Anders als in den vielen Wahlen zuvor, die ich schon erlebt habe, kämpfe ich dieses Mal mit einem neuen Problem: ich weiss nicht, was ich wählen soll. Das ist mir überhaupt noch nie passiert. Aber ist ja auch kein Wunder: ich lebe in Lübeck.
Die Vorraussetzungen: Lübeck ist die kleine Hansestadt, deren Wahrezichen alle vom alten Fuffzig-Mark-Schein oder vom neuen 2-Euro-Stück kennen. Früher lag Lübeck im Zonenrandgebiet, bildete das Bollwerk zum Osten und die äußerste Nordöstliche Ecke der Bundesrepublik. In diesem Sinne hat sich Lübeck bis heute von der sog. Wiedervereinigung nicht mehr erholt. Der Stadt wurden die hervorragende Lage, die Zonenrandgebietssubvention und der Blick gen alte Heimat in einer Nacht geraubt. Man dachte noch ungefähr einen Tag daran, jetzt das Ausflugs- und Einkaufsziel des ganzen Nordosten werden zu können, aber dieser Nordosten ist inzwischen erfolgreich entvölkert worden und durch reiche, aber reisefaule Rentner ersetzt: kein Geschäft zu machen.
So ist Lübeck pleite, pleite, pleite. Es ist kein Geld da, keines. Im Gegenteil, wer immer die Regierung hier übernimmt muss sich sicherlich tagtäglich mit Glübigern herumärgern. Und so scheint es, dass auch gar keiner die Regierung übernehmen will. Ist halt 'nen Scheissjob, der da wartet, den Mangel verwalten, das ist etwas, das macht man halt nur, wenn Aussicht auf Besserung besteht. Und es haben ja auch alle schon einmal versucht und sind gescehitert. Nein, in Lübeck gibt es für die Parteien keinen Blumentof zu gewinnen. Und so verhalten sie sich auch.
Werbung: Plakate der SPD hab’ ich noch keine gesehen. Dafür kandidiert eine Angela-Merkel-Doppelgängerin für die Sozialdemokraten—das ist auf jeden Fall eine Lachnummer. Stattdessen flatterten zwei Wurfbriefsendungen ins Haus, die versprachen: mit uns wird Lübeck besser, oder so in der Art. Das hab ich glatt mit der Wurfpostsendung der CDU verwechselt, denn die sagte ungefähr dasselbe. Die CDU hat auch plakatiert, aber ist dabei irgendwie geistig ein wenig vom Weg abgekommen: man warnt nämlich vor einer rot-rot-grünen Koalition im Stadtrat, vor einer Hessen-Lüge. Diese moderne Dolchstosslgegende aus dem fernen Hessen hat mit Lübeck nun aber auch gar nichts zu tun und soweit man weiss regiert dort doch auch eher die CDU, oder täusche ich mich? Außerdem plakatiert die CDU seit zwei Wochen das Gesicht ihres Kandidaten. Das hatten sie sich schon recht überlegt, denn der Mann ist wirklich mehr abschreckend, als dass mit ihm etwas zu gewinnen wäre. Die FPD-Plakate konnte ich vom Auto aus nicht lesen, denen muss es irgendwie schlecht gehen, die hängen nur selbstgemaltes und tintenstrahlgedrucktes aus. Die Linke hat einfach keine spezielle Plakate für Kommunalwahlkämpfe, sondern hat allgemeines zur Politik zu sagen. Das hat dann mit Lübeck wenig zu tun, genauso wie der pseudo-persönliche Brief von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, die versprachen, im kleinen wie im Großen die richtige Politik machen zu wollen. Ganz in meinem Sinne. Der Rest ist Schweigen.
Nein doch nicht: die Grünen in Flensburg waren fleissig und haben einen Wahlwerbespot gemacht. Für den Inhalt sind sie selbst verantwortlich, auch wenn’s am Ende anders aussieht.
Dann gibt es noch einige lokale Initiativen, die in den Stadtrat wollen. Leider verraten die nur selten direkt, welch’ Geistes Kind sie sind. OK, man kann sich vorstellen, dass der Lübecker BUNT e.V jetzt keine verkleideten Rechten sind, aber durch Programme o.ä. machen sie das nur auf Nachfrage deutlich. Ihre Aussagen sind eher allgemein gehalten. Ebenso ist die Idee der Bürger für Lübeck schwierig auf die Goldwaage zu legen: man will jeseits der politischen Ideologien eine Politik des gesunden Menschenverstandes machen. Und dann gibt es noch die Zentrumspartei, die zwar auf eine lange Tradition zurückblickt, aber was beudetet das heute noch? Zu guter Letzt zwei Einzelbewerber, der eine Zollbeamter (sorry, Feindbild) und der andere Schüer (ja, nee, is klar…).
Der letzte Absatz gewinnt an Interesse, wenn man sich daran erinnert, dass man die 5%-Hürde abgeschafft hat, aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Februar 2008. Damit bekommen die kleinen Parteien und Wählergruppen natürlich mehr Gewicht. Mir hilft es jedoch nicht bei der Entscheidung. Immerhin ist die Wahlbeteiligung mal wieder niedriger als bei dér letzten Wahl. Bis 14 Uhr waren nur 29,4% der Bürger an der Wahlurne, meldet der NDR… ach, ich geh’ mal los und nehm’ nen Würfel mit…
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