Ohne jeden Widerspruch

Thema:

Der Verfassungsschutz hat die sogenannte Alternative für Deutschland als gesichert rechtsextreme Bestrebung bewertet und damit mindestens der Diskussion um ein Verbot der Partei wieder neuen Schub gegeben. Das wäre doch auch eine gute Gelegenheit für die „Anstalten“ der ARD, das ZDF und den DLF, den eingeschlagenen Weg in Sachen Präsenz der AfD in ihren Programmen noch einmal zu überdenken. Und das findet wohl auch statt, allerdings auf unterschiedliche Weise: WDR-Intendantin Vernau beispielsweise will eher mehr AfD im TV sehen. Andere wiegeln eher ab: Einzelfall prüfen, Verantwortung der Redaktionen, journalistische Sorgfalt sind die Argumente, die in ein es bleibt wie es ist münden. Und der Spiegel hat eh gerade festgestellt, dass die AfD auch weniger zu Talkshows eingeladen wird, als es den Anschein zu haben scheint[1].

Aber vielleicht geht es auch gar nicht so sehr um die großen Talkshows. Ich möchte an dieser Stelle einmal ein Fernseh-/Radiointerview dokumentieren und besprechen, das ich während des Kanzlerwahlversuchs bei NDRInfo zu hören gezwungen wurde, weil es glaube ich ein guter Beleg dafür ist, wie schief es beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerade geht. Und welches Licht das überhaupt auf den Zustand von Medien und Journalismus im Jahr 2025 in der Bundesrepublik steht.

Hinweis: Normalerweise versuche ich, all die Lügen, Falschbehauptungen und Provokationen aus dem rechten Lager keinesfalls zu reproduzieren. In diesem speziellen Fall mache ich eine Ausnahme, um etwas daran zu demonstrieren. Wer sich derlei Schund entziehen möchte, möge jetzt aufhören zu lesen.

Das Ton- bzw. Videodokument

Hier das von mir als Dokumentation angeführte Interview als Audio auf NDRInfo: Interviewt wird der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion Bernd Baumann zur gescheiterten Kanzlerwahl. Im Original war das ein Interview bei tagesschau24, hier ab Minute 01:07 als Video. Das Interview führte Matthias Deiß, stellvertretender Studioleiter und Chefredakteur Fernsehen im ARD-Hauptstadtstudio.

Das Interview

Der Interviewer eröffnet das Gespräch also mit der Frage, ob die Fraktion bereits eine Einladung zum zweiten Wahlgang am nächsten Tag erhalten habe. Was ja schonmal an Tiefgang kaum zu unterbieten ist, denn wen in aller Welt interessiert es, ob nun ausgerechnet die AfD auch zum zweiten Wahlgang eingeladen wird (was Sonnenklar ist)? Aber gut, sollte vielleicht eine lockere Einleitung sein. Bernd Baumann antwortet auch:

Ja natürlich. Wir stimmen dem zu. Jetzt muss der zweite Wahlgang stattfinden.

An dieser Stelle hätte der Interviewer nun vielleicht eine zweite Frage anschließen können, gesetzt den Fall, dass er eine hätte… Stattdessen darf Baumann aber einfach weiter reden:

Wir wollen wissen, was jetzt los ist. Merz ist jetzt natürlich abgestraft worden als möglicher Kanzler in Zukunft. Das ist eine Quittung. Ich hoffe aus Reihen der Union. Es haben ja insgesamt 18 Stimmen gefehlt für eine Koalition.

Ja, das denke ich auch, dass da jemand Friedrich Merz eine Quittung ausstellen wollte. Aber gefehlt haben ihm nur 6 Stimmen um gewählt zu werden, 18 Stimmen hätte die Koalition aus CDU und SPD gehabt, was Herr Baumann hier wohl auch meint. Wieder ohne Zwischenfrage des Interviewers gerät Baumann nun ins fabulieren:

Ich hoffe, es sind Leute aus der Union, die diesen Weg der CDU nicht gutheißen. Sie wissen, das ist kein guter Weg für die CDU und auch nicht für Deutschland, auch aufgrund dieses Wahlbetrugs im Hintergrund.

Herr Baumann weiß schon sehr genau, wie die CDU tickt, vor allem aber, wie er seine Whistle zu blowen hat. Denn: Wahlbetrug, auch Wahlfälschung, ist etwas anderes, als das, was er Merz und der CDU vorwirft. Stattdessen wärmt er hier so ganz nebenbei wieder die alten Wahlbetrug-Lügen von der Bundestagswahl wieder auf. Darauf könnte ihn der ÖRR-Reporter ja mal ansprechen. Stattdessen macht Baumann fleißig weiter und holt richtig aus:

Die haben ja Plakate geklebt und Wahlkampf gemacht, damit die Schuldenbremse eingehalten wird, Rot-Grün begrenzt und Asylmigranten zurückgewiesen werden. Jetzt haben wir 1 Billion Neuverschuldung, 100 Milliarden für die Grünen, womit sie machen können, was sie wollen. Und an der Grenze werden Asylmigranten nicht zurückgewiesen, sondern nur Grenzkontrollen erhöht. Also das genaue Gegenteil von den Versprechungen. Und ich hoffe das einige in der Union wissen, dass das so nicht geht.

Ja… mensch weiß gar nicht, wo anfangen. Und es ist ja nicht alles falsch: die Union hat Plakate geklebt. Und Fritze Merz hatte im Wahlkampf noch eine Änderung der Schuldenbremse abgelehnt, hier könnte man von einem (besonders schnell) gebrochenen Wahlversprechen reden. Eine Neuverschuldung von 1 Billion Euro gibt es so jedoch nicht. Denn die Neuverschuldung wird immer von Jahr zu Jahr berechnet, die hier gemeinten Sondervermögen laufen jedoch über 12 Jahre. Der Knüller sind jedoch 100 Milliarden für die Grünen, womit sie machen können, was sie wollen. Womit sie machen können was sie wollen! Die Grünen. Jetzt müsste unser tapferer Reporter doch mal aufwachen. Aber der nickt nur immer weiter zustimmend. Nun stellt er aber doch eine Frage, wobei er allerdings alles vorher gesagte nonchalant ignoriert:

Auch sie haben mit diesem Ergebnis trotzdem nicht gerechnet. Sie sagen, sie stimmen jetzt einer morgigen Wahl zu, als AfD Fraktion in einem zweiten Wahlgang. Was glauben Sie, kann sich da in einem Tag ändern?

Möglicherweise waren die Ausführungen des AfD-Mannes nicht scharf genug, dass unser ÖRR-Reporter nochmal nachbohrt? Aber Baumann weiß die Vorlage im ersten Moment nicht zu nutzen, wiederholt stattdessen nochmal seine Einschätzung darüber, wer gegen Merz gestimmt haben könnte:

Ich weiß nicht. Jetzt ist einfach die Frage, sind diese Leute, diese Abgeordneten, die sich so entschieden haben, willens, wirklich die Kanzlerschaft zu verhindern? Oder soll nur ein Schuss vor den Bug das sein [sic]? Das wird sich jetzt zeigen. Man weiß ja nicht, wer das ist. Ich kann nur mal sagen ich hoffe, es sind Leute aus der Union, die irgendwie noch bei Trost sind und wissen, dass solche Konstrukte wie Merz das geplant hat, dass das nicht geht. Nicht für die Union und nicht für die Republik. Und dann wird man sehen, ob die morgen dann dazu stehen oder nicht. Und dann sind die tektonischen Verhältnisse in der Republik ganz anders, wenn das durchgesetzt wird in den nächsten Wahlgängen.

Nein, das wird man natürlich nicht sehen, wer das gewesen ist, dafür gibt es ja geheime Abstimmungen, ein Konzept, das sich bis zu Herrn Baumann noch nicht herumgesprochen zu haben scheint. Zum Ende dieses Abschnitts gerät er dann schon ins Lachen, verwundert möglicherweise, dass er den ganzen Quark nochmal aufsagen darf. Und das ist dann auch die Stelle, an der Reporter Deiß endlich zum Leben erwacht:

Wir sind jetzt aber erst mal bei der heutigen Entscheidung. Und Sie als Oppositionsführer? Haben Sie ein Interesse daran, dass Deutschland eine stabile Regierung bekommt? Frage ich heute. Insofern: Was heißt das für das Ansehen von Deutschland an diesem Tag?

Er will eine Einschätzung, vom Oppositionsführer, heute noch, wie schadet die vermurkste Kanzlerwahl dem Ansehen von Deutschland? Denn das tut sie doch, oder? Oder?! Baumann legt sich den Ball auf dem Elfmeterpunkt zurecht:

Natürlich wollen wir eine stabile Regierung […]

…natürlich, was sonst? Naja:

[…], aber keine Regierung überhaupt stabil sein aus einer Union, die alle unsere Wahlversprechen übernommen hat und dann hinterher alle bricht und mit linksgrün, deren Projekte sie beenden wollen, eine Koalition macht.

Nun ja, alle Wahlversprechen hat die Union nicht von der AfD übernommen, aber das ist natürlich eine wirkmächtige Erzählung, die hier erneut unwidersprochen in die Welt gesendet wird. Aber hier zeigt sich doch sehr deutlich das Problem, dass sich die Unionsparteien mit dem AfD-Imititationswahlkampf selbst geschaffen haben: man übernimmt zumindest in Teilen deren Forderungen, kann sie dann aber nicht erfüllen, weil Realität und so und die AfD kann dann weiter behaupten: mit uns würde es klappen. Darüber hätte ich mit Herrn Baumann aber auch nicht sprechen wollen, wäre ich hier der Reporter. Gefragt hätte ich allerdings mal, wen die AfD inzwischen alles unter linksgrün subsumiert: Grüne? Grüne und SPD? Die FDP? Den HSV, die deutsche Bahn, die Kreishandwerkerschaft Ostholstein? Mit einer der genannten Parteien haben die Unionsparteien jedenfalls eine Koalition. Bernd Baumann setzt ab hier zum Schlussakkord an, lustigerweise hebt er nach jedem aufgezählten Punkt die Stimme und macht eine kleine Pause, in die ein Reporter Zwischenfragen stellen könnte, aber… passiert natürlich nicht:

Das kann überhaupt nicht stabil sein. Und dann ist mir lieber, das bricht von vornherein zusammen im Sinne Deutschlands. Und wir machen eine vernünftige Politik in Zukunft, wie die Wähler das wollen. Es gibt hier Mehrheiten, für all die Fragen, die im Raume stehen, für all die Fragen, die Merz auch versprochen hat, zu lösen [sic]. Also wir sind da jetzt guter Hoffnung. Demokratie funktioniert.

Zusammenbruch im Sinne Deutschlands, das hatten wir ja schon einmal. Was das mit vernünftiger Politik zu tun haben soll? Ich weiß es nicht. Dann folgt aber eine bittere Wahrheit: es gibt eine Mehrheit von Union und AfD, und wenn mit den Fragen, die im Raum stehen, die ähnlichen Konzepte beider Parteien gemeint sind, dann stimmt auch das. Guter Hoffnung war ja auch der olle Helmut Kohl so gerne, meint aber auch wieder etwas anderes, als früher Kohl und heute Baumann damit mein(t)en. Aber Herr Baumann ist zuversichtlich: Demokratie funktioniert. Richtig. Leider gerade nicht so, wie ich mir das vorstelle.

Warum finde ich das so schlimm

Was auch funktioniert: PR. Und die bekommt die AfD mit diesem Interview mal wieder kostenfrei vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk serviert. Bernd Baumann darf von Anfang bis Ende lügen, dogwhistling betreiben, Dinge falsch behaupten, die jeder der sich mit Politik auskennt, sofort widerlegen könnte. Und er darf von einem innerparteilichen Putsch rechter Abweichler in der CDU fabulieren und gleichzeitig noch ein Loblied auf die Demokratie singen.

Wir haben es hier nicht mit einer großen Talkshow oder einem ARD-Brennpunkt zu tun, wo Alice Weidel eingeladen ist und den rechtsextremen Quatsch labert, den ihre rechtsextreme Partei nunmal ausmacht und was alle von ihr erwarten. Es geht hier nicht um Quoten. Das hier ist die Brot-und-Butter-Berichterstattung aus dem parlamentarischen Betrieb. Und diese ist in höchstem Maße problematisch bis katastrophal. Warum fragt der Reporter nicht nach? Warum unterbricht er nicht? Warum entlarvt er Baumann nicht vor laufender Kamera?

Leider weiß ich die Antwort: weil er das auch bei jedem und jeder anderen Sprecher*in anderer Parteien auch nicht getan hätte. Es ist ein völlig normales Interview in dem Sinne, dass eine dusslige Einstiegsfrage gestellt wird[2] und dann für zwei Minuten das Mikro hingehalten wird, in denen der Counterpart sagen kann, was er will. Das ist kein guter Journalismus, aber das ist das Gros des Journalismus, den uns die Öffentlich-Rechtlichen jeden Tag liefern. Und dieser ist der PR-Maschine der Parteien nicht gewachsen und war es noch nie. Nur das bisher halt die meisten Parteien nicht die Demokratie abschaffen wollten.

Die Demokratie sollte aber auch auf den Parlamentsfluren verteidigt werden[3], das ist der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Und das findet zur Zeit nicht statt.


  1. Um diese Art von möglicher Unmöglichkeit auszudrücken, scheint es der deutschen Grammatik an Werkzeugen zu fehlen. ↩︎

  2. „Herr Klinsmann, warum hat die Nationalmannschaft nicht gewonnen?“ ↩︎

  3. Auch wenn man den Gang vor der AfD-Fraktion ohne weiteres als den Hindukusch des Bundestages bezeichnen könnte. ↩︎

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