Besuchen Sie Europa, solange es noch steht

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Der Wahlabend am Sonntag ist mir reichlich in die Knochen gegangen. Ich habe tatsächlich ein paar Tage Ruhe und Besinnung gebraucht, um nicht gänzlich meinem traditionell starken Pessimismus anheim zufallen.

Zunächst einmal wurde in Deutschland irgendwie genauso gewählt, wie ich es schon erwartet hatte. Ich war davon ausgegangen, dass die Arschlöcher für Deutschland stark bleiben werden, dass SPD und Grüne verlieren würden, dass die CDU vorne liegen wird.

Nicht erwartet hatte ich das schlechte Abschneiden der Linken. Und ehrlich gesagt hatte ich gehofft, dass die FDP kräftig Stimmen verlieren würde.

Insgesamt halte ich die Europawahl und speziell ihre Ausgabe 2024 für ein großes Missverständnis. Ich weiß, dass in Europa viel entschieden wird, wie das Europaparlament in diesen komplizierten und mithin undemokratisch anmutenden Entscheidungsprozessen beteiligt ist. Ich weiß wie wichtig diese Teilhabe ist und welche, teils herausragende Rolle deutsche Parlamentarier*innen dabei spielen bzw. gespielt haben, im Guten wie im Schlechten. Und ich weiß, welche Personen und Parteien sich dabei in den letzten Jahren positiv wie negativ hervorgetan haben. Entsprechend wähle ich bei einer Europawahl die Parteien und/oder Leute, von denen ich eine gute Arbeit in Straßburg und Brüssel erwarte.

Damit gehöre ich zu einer Minderheit. Früher™ gingen kaum Leute zur Europawahl, weil sie diese für unwichtig oder sogar überflüssig hielten. Heute ist die Wahlbeteiligung erfreulicherweise deutlich höher, aber leider hat die Mehrheit der Wähler*innen immer noch nicht begriffen, worum es bei dieser Wahl geht. Stattdessen gaben 55% der wahlberechtigten Deutschen an, „für sie sei eher die Bundespolitik ausschlaggebend bei ihrer Wahlentscheidung gewesen, nur 38 Prozent nennen die Europapolitik“. Für diese Mehrheit war alles ausgerichtet, vom Wahlkampf über die Wahlberichterstattung am Wahlabend bis zur Analyse in den Tagen danach. Die Europawahl hatte mit der europäischen Politik ungefähr soviel zu tun, wie die Europameisterschaft. Stattdessen ging es ausschließlich um Bundespolitik. Die Parteien nutzten den Wahlkampf für bundespolitische Themen und die Wähler*innen im Gegenzug, um der Ampel einen „Denkzettel“ zu verpassen. Auf jeden Fall aber hatten eine Menge Journalist*innen eine Rechnung mit der Bundesregierung offen, denn in etlichen Kommentaren und „Analysen“[1] wurde von Neuwahlen bis zum Suizid der Regierung alles gefordert, was das Ergebnis in eine handfeste Regierungskrise umzumünzen im Stande war.

Die Faschisten stehen ante portas und den Medien fällt nichts besseres ein, als zu fordern, man möge die Regierung ihnen und ihren Steigbügelhalter*innen einfach direkt übergeben. Und wofür? Für den schnellen Klick, für den Bannerview oder für das gute Gefühl, mal so richtig Klicks gemacht zu haben. Besuchen Sie Deutschland, solange es noch steht.


  1. Analysen sind in Wirklichkeit auch Kommentare, allerdings machen sich deren Autor*innen die Mühe ihren Kommentar mit idR zurecht geschnitzten Statistiken zu begründen. ↩︎

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