Was meine Freiheit einschränkt
Ich sitze nun seit über einem Jahr in dieser Wohnung. Vielleicht ist sie nicht so groß, wie die von Heike Makatsch, aber man kann es aushalten. Seit über einem Jahr habe ich nahezu unterbrechungsfrei Home Office. Seit über einem Jahr habe ich meine Kollegen nicht in real live gesehen. Seit über einem Jahr bin ich nicht zum Bahnhof gelaufen um fit zu bleiben. Seit über einem Jahr bin ich nicht Zug gefahren. Seite über einem Jahr war ich nicht in Berlin. Seit über einem Jahr war ich nicht im Urlaub, nein, sogar schon länger, weil der letzte Urlaub für den Umzug drauf ging. Seit über einem Jahr war ich in keinem Geschäft, außer Supermärkten. Ich habe seit über einem Jahr meine Eltern nicht gesehen. Seit über einem Jahr war ich nicht draußen, außer früh morgens zum Joggen oder abends zum Spazierengehen. Abends, um möglichst wenig Menschen zu treffen. Seit über einem Dreivierteljahr gehe ich nur noch mit Maske an die Tür. Seit über einem Jahr ist mein Leben keines.
Das mache ich natürlich alles, um gesund zu bleiben. Wenn ich auch mit mir selbst lange nicht so streng wäre. Es geht dabei aber um eine Person in meinem Haushalt, die diese Wahl nicht hat. Die eine Krankheit hat, die ich hier nicht aufschreiben kann, weil sich dann Leute ein Urteil darüber bilden, ohne wirklich zu wissen worum es geht. Aber somit gibt es seit über einem Jahr nur ein Thema: sich nicht anzustecken. Jede Sekunde ist geprägt von der Frage, ob ich alles getan habe, was möglich ist. Aber das schränkt meine Freiheit nicht ein.
Was meine Freiheit einschränkt sind andere Menschen, die sich so verhalten, dass ich nicht garantieren kann, mich sicher verhalten zu haben.
Das geht los beim DHL-Boten, der sich weigert bei der Arbeit eine Maske zu tragen, obwohl die meisten seiner Kund:innen offensichtlich keine Maske tragen. Und geht weiter bei Leuten, die uns erzählen, dass wir es übertreiben. Das wir uns nicht so anstellen sollen. Die von sich behaupten, sie würden sich ja auch an die Regeln halten, aber nicht so übertrieben. Und dann mit Kind und Kegel Oma und Opa besuchen fahren. Das sind die Leute die in den Urlaub fliegen, weil es geht ja. Leute, die nicht verstehen können, dass ich nicht nach Mecklenburg-Vorpommern rüberfahren zum Strandspaziergang, weil es eben verboten ist. Und die sich dann aufregen, wenn sie Strafe zahlen müssen, weil ihr Bulli auf dem Strandparkplatz aufgeschrieben wurde. Das sind Leute unten auf der Straße unter meinem Balkon, die sich die Lunge aus dem Leib husten, aber trotzdem mit zwei Familien, Kinder- und Bollerwagen, aber auf jeden Fall ohne Maske unterwegs sind und den Gehweg zu für sich einnehmen, dass ich nicht mal den Müll rausbringen kann, ohne Abstandsregeln zu verletzen. Und das sind die Gruppen von jungen Menschen, die seit es nur ansatzweise wärmer ist, hier im Viertel an den Straßenecken herumhängen und Bier saufen, die halbe Nacht, so dass man nicht mal mehr um diese Uhrzeit einigermaßen sicher spazieren gehen kann. Es sind Nachbarn, die nicht verstehen, dass es besser ist im Treppenhaus Maske zu tragen. Die mich schief ansehen, wenn ich mit meiner 3M Aura FFP Supermaske die Kellertreppe hochkrieche und hinter meinem Rücken mit dem Kopf schütteln.
Alle Leute, die für sich entschieden haben, dass das alles nicht so schlimm ist, dass ihnen schon nichts passieren wird. Die glauben, das alles was erlaubt ist, auch sicher sei. Leute, die einschlägige Universitätsabschlüsse haben und trotzdem shoppen gehen müssen, sobald der erste Laden wieder aufmacht, weil es ist ja erlaubt.
Und das ist Richy Müller, der sich in seinem #allesdichtmachen Video genau über das vorgesagte lustig macht. Der mich lächerlich macht vor einem Millionenpublikum, der über mich herzieht ohne mich oder meine Situation zu kennen. Der seine Reichweite dafür benutzt, die in den Dreck zu ziehen, die sich so verhalten wie ich. Oder Jan Josef Liefers, der diese herrliche ironisierte Art insistiert, ich würde für eine gleichgeschaltete Presse arbeiten, mithelfen dafür zu sorgen, dass die Coronapanik bestehen bleibt. Die im Umkehrschluss natürlich völlig übertrieben, ja nachgerade unbegründet ist. Die restlichen Schauspieler:innen, die bei der Aktion mitgemacht haben, kenne ich nicht, oder sie haben sich bereits von ihrem eigenen Handeln distanziert.
Da kann ich lapidar fragen: „Was darf Satire?“ und mich des Themas entledigen. Ja, an mir tropft sowas eher ab, ich lasse mich von Richy Müller nicht auf die Schippe nehmen. Aber das Bild, was die Aktion den vielen Menschen da draußen von mir vermittelt hat, das wird natürlich bleiben. Der kopfschüttelnde Nachbar im Treppenhaus wird denken: „Ja, das ist auch so einer, der atmet in zwei Tüten!“, sich auf den Schenkel klopfen und sich im Recht fühlen. „Hat die Makatsch doch gesagt, alles Idioten die die Tür nicht aufmachen. Und der arbeitet für die Presse, sowieso alles Lügner und Betrüger. Wenn der, wie hieß der nochmal? das sagt!“ Das wird die Aktion am Ende gebracht haben. Wenn ich die Jugendlichen an der Ecke nachts freundlich frage, ob sie ein wenig Platz machen können, vielleicht machen sie es dann nicht mehr, weil Ulrich Tukur mit Rilke spielte und ich ja sowieso lieber tot wäre, oder nicht?! Kann man auch gleich noch eine Bierflasche hinterher werfen.
Das schränkt meine Freiheit ein.
Diese Stimmung, die das macht. Die gleiche Stimmung, die auch von den Demonstrationen der Coronaleuger:innen verbreitet wird. Die überall zu Wort kommen und trotzdem Lügenpresse rufen. Dieses Gefühl bei den anderen, dass da irgendwas schon dran sein wird. Und tatsächlich, die Bundesregierung will uns ja einsperren. Dieselbe Bundesregierung und die Länderregierungen, die genau mit ihrem Zaudern die Stimmung in die falsche Richtung sich hat entwickeln lassen. Deren hilfloser Dauerlockdown die Menschen zu Zweifler:innen macht. Ich habe halt immer gedacht, die Vernünftigen wären in der Mehrheit. Aber in der Gesellschaft scheint genau das zu schwelen: der Glaube an eine gleichgeschaltete Presse, das Leute wie ich die Idioten sind, das das alles nur Einbildung ist, eine etwas heftigere Grippe. Denn anders kann ich nicht verstehen, dass sich 53 mehr oder minder bekannte Schauspieler:innen gefunden haben, die diese Videos gedreht haben, in dem Wissen, dass sie dafür ihre Reichweite einsetzen. Dafür! Sie hätten stattdessen Werbung fürs Impfen machen können. Oder mal eine Intensivstation besuchen und die Menschen dort aufmuntern können. Prominente machen doch ständig sowas! Oder den Leuten wenigstens Mut machen.
Update: Auch Richy Müller soll sein Video inzwischen zurück gezogen haben, es war aber heute morgen (24.04.) nich auf Youtube erreichbar.
Beitragsbild von Cláudia Back auf Unsplash.
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