Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann
Ich hatte ja mir als einen dieser komischen Vorsätze für das neue Jahr vorgenommen, in diesem Jahr das Werk von Heinrich Böll ein wenig zu studieren. Als erstes habe ich „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (nochmal) gelesen.
Katharina B., zum zweiten Mal gelesen
Hat eigentlich jemand „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ nicht im Deutschunterricht gelesen? Tatsächlich ich zum Beispiel. Ich hatte zwar zunächst in Erinnerung, es in der Schule gelesen zu haben, mir fiel dann aber kichernd ein, dass ich es tatsächlich in einem „Lesekreis“ in unserem Jugendzentrum gewissermaßen freiwillig gelesen und besprochen hatte. Ach ja, die Achtziger… wir waren so verdammt alternativ. Der Lesekreis hat nur zwei Bücher in meinem Beisein bearbeitet, neben der Blum war das noch „Theorie und Praxis der antiautoritäten Erziehung, am Beispiel Summerhill“. Sie verstehen was ich meine. Vielleicht kann man schon verstehen, warum ich immer so vergrellt auf die inzwischen konservativen Jamaika-Grünen bin und Heinrich Böll, immerhin Namensgeber der grünen Bildungs-Stiftung wäre es auch.
„Sympathisant“ des Terrors?
„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ war sicherlich in weiten Teilen der damaligen (Bonner) Republik—wir nannten das BRD, auch wir im Westen—sehr umstritten. 1972 veröffentlichte DER SPIEGEL Heinrich Bölls Artikel „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“, in dem sich Böll sehr kritisch aber sachlich mit den Taten der RAF auseinandersetzte, den Sensationsjournalimus der Springer-Presse dazu aber scharf kritisierte.
Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit der ›Bild‹-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.
Böll und vor allem seine Familie wurden in der Folge bis in die Mitte der Siebziger Jahre mehrmals Opfer von Hetz- und Verleumdungskampagnen, bei denen die Springer-Presse und die Polizei eifrig zusammenarbeiteten. Unter diesem Eindruck schrieb Böll 1974 seine Erzählung, in der die sonst unbescholtene und über jeden Verdacht erhabene Haushälterin von der ZEITUNG und Justiz diffamiert und bloß gestellt wird und in der Folge ihre Ehre durch den Mord am Journalisten Tötges wieder herzustellen versucht.
Schnöde Rache?
Dass die Geschichte nichts als Rache wäre wurde Böll oft unterstellt, ich halte das, auch mit dem Abstand (erst 10, dann mehr als 40 Jahre später) zu jener Zeit und dem was noch folgte.
»›Rache‹ ist bei ›Katharina B.‹ nach meiner bescheidenen und möglicherweise falschen Schätzung nur zu 5-6% im Spiel, und diese Rache beruht wiederum nicht auf ›Kränkungen‹ meiner Person, sondern auf Einbeziehung meiner Familie bzw. deren Benutzung als Vehikel gegen mich. (Böll in einem Brief an Rudolf Augstein)
Bölls Werk dreht sich viel mehr um die Sprache, wie sie als Waffe eingesetzt werden kann und (heute noch) wird. Wie wichtig es ist, der Sprache habhaft zu werden und sie zu lenken. Der Berichterstatter, quasi Böll selbst, der seinen verschlungenen und sehr genauen Bericht als das Spiel eines Kindes bezeichnet, das im Regen spielt und zwischen Pfützen und Bächen ein System aus Stauungen und Kanälen und Drainagen baut, ist dabei jederzeit Herr der Sprache und lenkt den Fluss an nicht endender Kommunikation, in diesem Fall, in die richtige Richtung. Doch dies geschah und geschieht bis heute viel zu selten, so dass die meisten „Stories“ die in diese Welt gesetzt werden, unaufgeklärt und die Wahrheit dahinter unaufgedeckt bleibt.
Bis heute
Am Wirken der Springer-Presse hat sich da bis heute nichts geändert. Nach wie vor wird in großen Lettern gelogen und betrogen, enttarnen kann man die Lüge nur, wenn man das Drumherum analysieren, sich vom Ganzen ein Bild machen kann. Wie das funktioniert hier mal in einem schönen Beispiel aus dem BILDblog: „Bild“-Medien lassen Flüchtlinge durch Deutsch-Tests fallen. Immer noch das gleiche Prinzip des völlig erlogenen/irreführenden Aufmachers, die wahren Kern der Geschichte erkennt man allenfalls, mit viel Anstrengung hinter der Bezahlschranke…
Anmerkung zur Ausgabe: Eine schlechte Entscheidung war übrigens, die Kindle-Version zu lesen, die in Umsetzung und Rechtschreibung des Textes höchst zweifelhaft daher kommt. Wirklich schlimm und störend…
Artikelbild von JuniperPhoton auf Unsplash.
Noch keine Kommentare.
Kommentare geschlossen.