Landesverrat
Gestern hat Bundesstaatsanwalt Range ein Strafverfahren gegen zwei Journalisten (und ihre Quellen) von netzpolitik.org (die Seite ist derzeit regelmäßig überlastet) eingeleitet. Der Vorwurf lautet Landesverrat § 94 StGB und bezieht sich auf die Veröffentlichung geheimer Dokumente, die belegten, dass der Verfassungsschutz 2,75 Mio. Euro aus geheimen Haushaltsfonds für die Erweiterung der Massendatenerfassung einsetzen will bzw. einsetzt. Anzeige hat der Präsident des des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans Georg Maaßen gestellt. Das Echo in den Medien und in den sozialen Netzwerken ist ohrenbetäubend.
Aber, was ist das denn eigentlich Landesverrat? Der § 94 des Strafgesetzbuches bildet die Kerntätigkeit der Spionage ab. Er stellt den Verrat eines Staatsgeheimnisses, welches in § 93 StGB definiert wird, unter Strafe. Ein solches Staatsgeheimnis sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheim gehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden. Damit es ein Landesverrat wird, muss man ein solches Geheimnis einer fremden Macht oder deren Mittelsmännern mitteilen (die klassische Spionage), oder es sonst an Unbefugte gelangen lassen oder öffentlich machen (whistleblowing im heutigen Sinne), allerdings um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen. Weiterhin muss dadurch noch die äußere Sicherheit der Bundesrepublik in Gefahr geraten. Die Strafandrohung ist Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr (womit es sich um ein echtes Verbrechen handelt).
Trotz allem Juristendeutsch ist § 94 doch recht eingängig formuliert. So ist die klassische Spionage zum Beispiel eher zu bestrafen, als das Veröffentlichen eines Geheimnisses, da bei letzteren noch die Absicht vorliegen muss, die Bundesrepublik zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen. Und bei allem muss auch noch die äußere Sicherheit des Republik in Gefahr sein. Man braucht nicht viel Fantasie, um allein schon diese Punkte im Falle von Netzpolitik eindeutig zu verneinen. Aber das ist natürlich auch eine politische Frage und eine Frage der Auslegung.
Wenn wir davon ausgehen, dass dem BfV-Präsidenten die Idee, Netzpolitik anzuklagen nicht gerade auf dem Klo oder nach einem Besäufnis in der Kantine des Bundesamtes eingefallen ist, können wir aber annehmen, dass er in seiner Anzeige sehr genau ausgeführt hat, worin er die Gefahr für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik sieht. Und auch die Bundesanwaltschaft wird dazu etwas zu sagen haben, denn sonst wäre die Einleitung des Verfahrens an sich schon lächerlich. Ich weiss natürlich nicht, ob der Bundesstaatsanwalt nicht per se Lust daran verspürt, sich und seine Behörde lächerlich zu machen. Kann ja sein.
Leider sind die Herren nicht so dumm, wie sie sich in der Öffentlichkeit darstellen, insofern muss noch etwas mehr dahinterstecken, einen derartig vorhersehbaren Mediensturm zu entfachen. Die Hoffnung oder Berechnung könnte sein, dass sich im Laufen eines (wenn auch sinnlosen) Verfahrens, Zugriff auf die Quellen von Netzpolitik erlangen lässt, dies könnte sogar das Hauptziel des Verfassungsschutzes sein: das Leck offen zu legen. In dem Fall liesse sich der Bundesstaatsanwalt vor den Karren spannen. Eine Diskreditierung von Netzpolitik, wie sie seinerzeit Franz-Josef Strauss beim Spiegel im Sinn gehabt haben mag, kann es wohl nicht sein, denn es ist offensichtlich, dass man in der heutigen Zeit mit einer solchen Anklage das genaue Gegenteil erreicht. Wohl aber kann das Verfahren eine teure Sache für die Kollegen von Netzpolitik werden, vielleicht erhofft man sie so zu beschäftigen, um weitere Berichterstattung zu verhindern. Und zu guter Letzt ist es natürlich ein Zeichen an alle anderen Whistleblower, dass die Geheimdienste bereit sind, die Mittel auszuschöpfen, um weitere Öffentlichkeit zu vermeiden.
Das ist also die Situation in diesem Land, Stand 2015: während sich die Verfassungsschützer damit beschäftigen, das Volk auszuhorchen und zu überwachen, und sich Politik und Bundesstaatsanwalt außer Stande sehen, gegen die Massenüberwachung durch die amerikanische NSA etwas zu tun, welche vom Bundesnachrichtendienst noch unterstützt wird, werden gleichzeitig Blogger, Journalisten und Whistleblower, die sich an der Öffentlichmachung all dieser Dinge beteiligten, mit Verfahren überzogen, um sie mundtot zu machen. Es wird immer eindeutiger, dass Politik, Geheimdienste, Exekutive und Justiz gemeinsam handeln, um eine lückenlose Überwachung des Volkes zu installieren, oder schon installierte Überwachungsinstrumente zu schützen. Dabei ist man sich nicht zu schade, politisches Porzellan tonnenweise zu zerbrechen, um jene abzuschrecken, die sich mit Transparenz gegen diese Ziele stellen und aktiv werden.
Politiker die #Landesverrat kauften, kauften auch #VDS Spenden für @netzpolitik > #DE62430609671149278400
— Kai Schmalenbach (@Dave_Kay) 30. Juli 2015
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