Volker Ullrich: Schicksalsstunden einer Demokratie

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Den Vergleich mit „Weimar“ kenne ich als Teil des Handwerkszeugs politischer Diskussion, seit ich mit 16 in eine Partei eintrat. Schon in den Achtzigern, im damaligen „Westen“, wurde alles alle naselang mit „Weimar“ verglichen. Dabei waren nicht NPD, noch DVU oder Republikaner jemals so nah an der Macht, wie heute die sogenannte AfD. Der Vergleich mit „Weimar“ hat sich über die Jahre abgenutzt, wegen seiner inflationären Nutzung (schuldig!), obwohl die meisten gar nicht wussten, wovon eigentlich die Rede ist, also wann er passt oder wann er gedemütigt vom Spielfeld hinkt.

Schicksalsstunden einer Demokratie Cover: coloriertes SW-Foto zeigt eine Straßenszene auf dem Hermanplatz in Berlin(im Hintergrund ist ein entsprechendes Schild kaum zu entziffern) aus den 20ern Jahren. Im Hintergrund ist eine Straßenbahn zu sehen, davor ein kleiner LKW. Überall stehen Menschen herum, die Teilnehmer oder Augenzeugen einer möglicherweise bedrohlichen Situation sind. Einige laufen weg, andere halten schützend die Hände vor das Gesicht. Die Menschen sind sehr unterschiedlich gekleidet: im Vordergrund jemand in Arbeiterkluft, andere eher in bürgerlicher Kleidung, teilweise mit Aktentaschen. Auch ein Mensch in Uniform ist zu sehen.

Zumindest die Unwissenheit über Weimar als geschichtliche Epoche der Demokratie in Deutschland, also in der Zeit zwischen der sogenannten Revolution von 1918 und der Machtübertragung an Hitler und seine NSDAP 1933, will uns der Historiker und ZEIT-Autor Volker Ullrich mit seinem Buch „Schicksalsstunden einer Demokratie – Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik“[1] nehmen. Im Untertitel ist auch schon die grundsätzliche These präsentiert, die sich durch das ganze Buch zieht: Die Machtübergabe an Adolf Hitler war weder ein Unfall der Geschichte, noch ist sie vom Himmel gefallen, sondern die Folge unterschiedlichster Entscheidungen, die Menschen getroffen haben. Und diese sind vielfältig, bedingen einander, verkreuzen sich miteinander. Ullrich markiert diese Momente minutiös, vom Vorabend der „Novemberrevolution“ bis zur Reichstagsbrandverordnung, mit der die Nazis der deutschen Demokratie endgültig das Genick brachen.

Und von diesen Momenten gab es in der Zeit ziemlich viele. Zum Beispiel, dass die Mehrheits-SPD von Anfang an auf der Bremse der Revolution stand, sie anfangs eher zu verhindern suchte, sie dann aber für sich vereinnahmen konnte (und dass die Revolutionär*innen dies zuließen), oder dass sie die Macht der Reichswehr eilig wiederherstellte. Diese Reichswehr wiederum war am Ende einer der Haupttreiber dabei, die Demokratie wieder abzuschaffen, was Hitler erst ermöglichte. Noske, die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, die Aufstellung Ernst Thälmanns zur Präsidentenwahl durch die KPD, alles Ereignisse, deren Folgen der jungen Demokratie zusetzten. Oder der Versailler Vertrag, das Gebaren der „Siegermächte“, die Ruhrbesetzung, die Inflation, die Arbeitslosigkeit, das Verhalten der Arbeitgeber und der ostelbischen Landjunker, die Liste ist schier unendlich. Und immer wieder sind es Gelegenheiten, das Ruder herumzureißen, was, wie wir alle wissen, aber nie geschieht.

Gleichzeitig zeigt das Buch aber auch, dass es eine ganze Reihe von Menschen gab, die der jungen Demokratie nicht wohlgesonnen waren, und sie abzuschaffen suchten. Allen voran der gewählte Reichspräsident Paul von Hindenburg, sowie diverse Kanzler der von ihm gegen das Parlament eingesetzte präsidiale Regierungen: Brüning, von Papen, Schleicher. Letzterer hatte lange im Hintergrund als Vertreter der Reichswehr Hindenburg eingeflüstert und an einer „Regierung der nationalen Konzentration“ (sic!) gearbeitet, scheiterte allerdings kläglich als er selbst Kanzler wurde. Von Papen kennen wir natürlich alle von seinem berühmten Zitat: „In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht!“. Ich glaube aber, es wird heute als Dummheit missverstanden, tatsächlich tat von Papen, vor allem als er nicht mehr Reichskanzler war, alles, um Hitler an die Macht zu bringen, allein aus Eigennutz. Zuerst hoffte er vor Hitler wieder Kanzler zu werden, gab sich dann aber mit der Vizekanzlerschaft zufrieden.

Und. So. Weiter. Die Geschichte der Weimarer Republik, wie Ullrich sie präsentiert, ist ebenso spannend wie lehrreich. Und es gibt durchaus Parallelen zu heute, das fällt einem schon auf. Die Deutschen als Volk beispielsweise haben viele dieser Dinge ja erst durch ihre Wahlen möglich gemacht, die meisten der genannten Personen machten ja nie einen Hehl daraus, wie sie mit der Demokratie umzugehen gedachten. Vieles unterscheidet sich aber natürlich auch. Und vieles wiederum läuft gänzlich anders, allerdings mit ähnlichen Auswirkungen wie damals. Was wir aber auch nicht vergessen dürfen: auch heute gibt es die vielen Momente, das Ruder herumzureißen, wir müssen es nur tun.


  1. Schicksalsstunden einer Demokratie. Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik. C. H. Beck, München 2024, ISBN 978-3-406-82165-3. ↩︎

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