Politik der Scheindebatten
Wie rechte Rhetorik und symbolische Maßnahmen die Demokratie gefährden
Es haben sich Mechanismen festgesetzt in der Politik, die auch bei genauer Betrachtung keineswegs selbsterklärend sind. Gab es beispielsweise einen Terroranschlag, oder eine Gewalttat ausgeführt von Menschen ohne deutschen Pass, oder ohne Nachweis eines teutonischen Stammbaums bis zurück in das Preußen Bismarcks, müssen immer sofort oder doch möglichst schnell, die immer gleichen Forderungen, möglichst laut präsentiert werden. Verschärfung der Waffengesetze, Beschränkung der Einwanderung, Wiedereinrichtung von Grenzkontrollen, mehr und schnellere Abschiebungen, vor allem von sogenannten Gewalttäter*innen und so weiter; es ist immer dasselbe Set von Scheinmaßnahmen, das von immer gleichen Leuten vorgetragen wird. Scheinmaßnahmen deshalb, weil sie einerseits rein aktionistisch am Problem vorbeigehen, andererseits oft auch gar nicht umsetzbar sind. Das liegt zum einen daran, dass sich Anschläge des stochastischem Terrorismus letztlich, unter Aufrechterhaltung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, nicht abschließend verhindern lassen. Auf der anderen Seite werden am liebsten Dinge gefordert, die sich gar nicht umsetzen lassen. Grenzkontrollen einzuführen beispielsweise, wäre europapolitisch völlig kontraproduktiv, würde für ein Stauchaos an den betroffenen Grenzen sorgen und würde nicht eine*n Terrorist*in von der Einreise abhalten. Schneller und mehr Abschieben scheitert daran, dass im Rahmen des juristisch Machbaren schon maximal—und irgendwie auch schon ganz im Sinne Höckes „mit wohltemperierter Grausamkeit“—abgeschoben wird. Oder es gibt Abschiebehindernisse: oft fehlen entsprechende Rücknahmeabkommen mit den Ländern, aber auch aus gutem Grund. Welche demokratische Regierung will sich schon von Diktatoren wie den Taliban ein solches Abkommen diktieren lassen? Und. So. Fort.
Da stellt sich nun die Frage, was das eigentlich alles soll, wo ist da die Logik? Oder die Motivation? Diese sind wohl unterschiedlich. Die ganz Rechten wollen die Gesellschaft spalten und lassen sich keine Gelegenheit entgehen, ihre Demagogie unters Volk und vor allem nach Social-Media zu bringen. Da ihnen eh völlig egal ist, ob auch nur eines ihrer Argumente einer Überprüfung Stand hält, können sie auch den größten Blödsinn fordern, Hauptsache es knallt schön. Die anderen hingegen haben sich in den Kopf gesetzt, die AfD dadurch verhindern zu können, dass sie die AfD imitieren. Was man bei CDU, CSU, FDP, SPD und seit neuesten auch den Grünen nicht zu verstehen scheint, ist, dass genau dieses Verhalten der AfD noch mehr Wähler*innen in die Arme treibt.
Denn warum ist das ganze Gerede von Asylmissbrauch, Abschiebungen, Grenzkontrollen oder Gesetzesverschärfungen so gefährlich? Die AfD hat es geschafft, dass die Wähler*innen zumindest in Teilen Deutschlands bei ihr die Kompetenz für diese Themen verorten. Nach dem Motto: wenn einer Abschiebung richtig macht, dann die AfD. Wenn also über Abschiebungen diskutiert wird und alle sagen, dass sie nötig sind, dann wähle ich doch gleich die Partei, von der ich glaube, dass sie es richtig macht. Der Effekt ist, dass der AfD jedwede Diskussion in diese Richtung nützt, egal wie sie selbst dabei abschneidet. Bekannte Ressentiments werden dabei noch vertieft: „Wenn alle mehr Abschiebungen wollen, dann kann Remigration ja nichts Schlechtes sein“. Und während solcher Scheindiskussionen wird die Grenze des Sagbaren, weil es ja ein Überbietungswettbewerb ist, immer weiter nach rechts verschoben. Wo gestern noch mehr Abschiebungen gefordert wurden, wurde durch den Zusatz „von Gewalttätern“ einerseits signalisiert: „sind doch alles Gewalttäter“ und gleichzeitig eine Umgehungsmöglichkeit der normalen Regeln angedeutet. Die weitere Verschärfung: „auch nach Syrien und Afghanistan“ versucht eine weitere Schippe draufzulegen, im Sinne von: sind ja alles Gewalttäter*innen dort.
Am schlimmsten ist vielleicht, dass dieses ganze Theater ja an keinem einzigen Problem etwas ändert. Politische Handlungsfähigkeit wird allenfalls simuliert. Die Politik zeigt, dass diese weltpolitischen Konflikte und Krisen zu groß für sie sind, ist aber nicht ehrlich genug, dies zuzugeben. Und so wird Politik zu Recht als macht- und nutzlos empfunden, was nur bestenfalls in Politikverdrossenheit mündet, sondern eher in den kompletten Vertrauensverlust und der führt wieder in den Extremismus …
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