Die letzte Irritation
Ich versuche seit Tagen einen vernünftigen Artikel über das Phänomen „die Bundesrepublik Deutschland gegen die Letzte Generation“ zu schreiben und ich gebe es hiermit offiziell auf.
Ich verstehe dieses Land nicht mehr. Ich verstehe seine Regierung nicht mehr. Ich verstehe große Teile der Presse nicht mehr. Die Parteien, die sich heute Opposition nennen, habe ich noch nie verstanden.
Vom ersten Moment an hat sich diese Geschichte genau entgegengesetzt meiner Erwartungen entwickelt.
Eine Frau wird vom Betonmischer überrollt. Irgendwo an anderer Stelle demonstriert die Letzte Generation. Ein Feuerwehr-Sprecher merkt eher lakonisch und völlig unkonkret, dass ein Fahrzeug wegen der Blockade zu spät zum Unfallort gekommen sei, es hätte eine „recht relevante Zeit“ im Stau vor der Blockade warten müssen. Minuten später, niemand, wirklich niemand hat zu diesem Zeitpunkt irgendwelche Fakten gecheckt, bricht eine Hasskampagne gegen die letzte Generation aus, die ihresgleichen sucht.
Zeter und Mordio! Es wird in Zusammenhang gesetzt, was nicht in Zusammenhang stand, Strafen gefordert, der harte Arm des Gesetzes, zur Not Gesetzesänderungen, Mordvorwürfe schwirren durch das Netz. Es wird falsch berichtet: Aktivist*innen hätten sich auf der Autobahn festgeklebt und so den Verkehr blockiert. Politiker sprechen vom „ersten Todesopfer der Letzten Generation“. Die europaweiten „Anschläge“ auf Gemälde, sie werden gleich auch komplett der Letzten Generation zugeschrieben. Schon geht es nicht mehr nur um die Letzte Generation, die ganze Klimabewegung wird in Sippenhaft genommen. Klimachaoten! Klimaschwurbler! Das Feuilleton schaltet sich ein. Radikalisierung! RAF! Rufe nach dem Verfassungsschutz werden laut. Besonnene Stimmen, sind eher selten.
Nach einer Woche Dauerbeschallung, ergibt eine Umfrage: 81 % der Deutschen halten das Vorgehen der Aktivisten für falsch! Womit der sich selbstverstärkende Prozess einen neuen Anlauf nimmt. Mehr und härtere Forderungen, mit den Umfragezahlen im Rücken. Schon werden in Bayern Aktivist*innen mithilfe des härtesten Polizeigesetzes seit 1945 in Vorbeugehaft genommen, die in Bayern 30 Tage ohne Anlass und Rechtsbeistand möglich sind.
Der Rest ist absehbar. Es wird die gesamte Klima-Bewegung sein, die die Folgen zu tragen haben wird, die Letzte Generation ist für immer diskreditiert. Es wird Angriffe auf Demonstrationen geben, wie wir sie zuletzt bei den CSD-Veranstaltungen erlebt haben. Wenn der aufgepeitschte Mob seinen Worten Taten folgen lässt, die Beispiele in unserer Geschichte reichen vom Attentat auf Rudi Dutschke bis zum Mordfall Walter Lübcke, dann will es am Ende wieder niemand gewesen sein.
Ich hasse die zynischen Bemerkung, die ich heute oft höre, dass wir es auch nicht besser verdient hätten, mit der Klimakatastrophe. Aber irgendwie scheint es doch zu stimmen.
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