Deutschland, August 1992
Vor ein paar Wochen war ich zum ersten Mal in meinem Leben in Rostock, in Warnemünde um genau zu sein. Auf dem Weg in das Ostseebad, kommt man am „Sonnenblumenhaus” vorbei, dem Gebäude, in dem vor 20 Jahren die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber untergebracht war und vor dem vier Tage lang, ohne sinnvolles Eingreifen von Polizei und Politik, die Krawalle von Rostock stattfanden. Ganz ehrlich gesagt, ist mir heute noch mulmig, wenn ich am Ort des Pogroms vorbeifahren soll. Die Bilder gehen mir auch nach 20 Jahren nur schwer aus dem Kopf.
Die Ereignisse von damals haben mein Verhältnis zu Ostdeutschland lange gestört, was aber glücklicherweise reparabel war. Nachhaltig zerstört haben sie allerdings mein Verhältnis zur Politik. Denn statt einzugreifen, Solidarität mit den Opfern zu zeigen oder wenigstens für schnelle Hilfe zu sorgen, nutzten CDU, CSU, FDP und SPD die Pogromnächte als Ausrede für die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. Die SPD musste dazu, initiiert von Björn Engholm und Oskar Lafontaine (!!!), die Petersberger Wende vollführen, man könnte es auch als Rolle rechtswärts bezeichnen. Das Ganze war der Gipfel einer bis dahin einzigartigen Propagandawelle, die sich durch alle Medien zog. Aussagen vom angeblichen vollen Boot gehörten da genauso dazu, wie die Titelbilder des Spiegel. Insofern ist der Begriff von der politischen Brandstiftung nicht weit hergeholt, man spricht auch von einer konformistischen Revolte.
Wenn wir heute auf die Ausschreitungen damals zurückblicken, sollten wir den Gesamtzusammenhang der Ereignisse nicht aus den Augen verlieren, einen Blick werfen auf das Deutschland, das es damals war. Und daraus lernen. Und den einen oder anderen noch aktiven Politiker mal fragen, wo er damals stand, als die Mollies auf die Balkone flogen.
Foto: Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, CC lizensiert vom mc005
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