„Rohwedder“

Mit dem Untertitel „Einigkeit und Mord und Freiheit“ bewirbt Netflix seine Dokureihe aus der Abteilung true crime. Beleuchtet werden soll, der bis heute ungeklärte Mord an Treuhand-Chef Detlev Rohwedder am 1. April 1991. Und wie man sich das schon vorstellen kann, der kriminologische Teil der Doku liegt irgendwo zwischen auf der Hand liegend und hanebüchen.

Rohwedder wurde damals in seinem Haus, durch das Fenster aus 60m Entfernung, mutmaßlich mit einem Präzisionsgewehr erschossen. Von drei Schüssen traf der erste tödlich. Am Tatort fanden sich zwar reichlich Spuren und ein Bekennerschreiben der Rote Armee Fraktion, der oder die Täter lösten sich aber in Luft auf und konnten nie ermittelt werden. Am Tatort auch gefunden wurde ein ausgefallenes Haar, das Jahre später durch gentechnische Untersuchungen Wolfgang Grams zugeordnet werden konnte, der wiederum 1993 auf dem Bahnhof in Bad Kleinen bei einem Festnahmeversuch unter zweifelhaften Umständen erschossen wurde. Das bietet natürlich Raum für eine True-Crime-/Verschwörungs-Story und so untersucht die Doku auch mögliche andere Verdächtige, wie Seilschaften der Stasi oder gar ein von wem auch immer beauftragtes Killerkommando. Dabei gibt es keine neuen Erkenntnisse, sondern die Darstellung des Attentats in verschiedenen Perspektiven, eine Art „JFK“, nur ohne Kevin Costner. Das geht dann leider auch so weit, das einer der interviewten Ermittler sich nicht entblödet ganz verschwörungsideologisch vom cui bono zu faseln, vor allem abrr vom tiefen Staat. Dieser Teil der Doku ist mithin unerträglich und schmierig.

Insofern ist die Miniserie im Grunde wertlos, gäbe es da nicht noch eine zweite Ebene. Denn neben dem Mord an Rohwedder wird eben auch seine Rolle im damaligen Deutschland beleuchtet und eben der Weg, den die heute sogenannte Wiedervereinigung nahm und was das für die Menschen in der ehemaligen DDR seinerzeit bedeutete. Rohwedder war als Chef der DDR-Abwicklungsgesellschaft Treuhandanstalt, sicherlich nicht ganz zu Unrecht, Feindbild aller vom Kapitalismus enttäuschten Ex-DDR-Bürger jener Zeit, deren Arbeitsplätze reihenweise platt gemacht wurden. Dabei war der „brutale Sanierer“ (Bekennerschreiben) allerdings nur Statthalter einer überheblichen und arroganten Westpolitik, die in der DDR nur eine Konkursmasse sah und in den kommenden Generationen von DDR-Einwohnern allenfalls zukünftige Konsumenten. Die Serie zeigt das Nebeneinander des in die Kamera lügenden Helmut Kohl, der von blühenden Landschaften faselt und davon, dass es niemanden schlechter gehen würde und dem persönlichen Unglück von Menschen, denen man nach 40 Jahren Arbeit sagt: alles Dreck, weg mit ihnen. Und dann kommen noch Menschen wie Thilo Sarrazin (ausgerechnet) zu Wort, seinerzeit Referatsleiter im Finanzministerium, der Dinge sagt wie: er habe zwei Bücher über die DDR gelesen und glaubte nun alles über die DDR zu wissen und dann, dass er überzeugt war, das 40 Jahre sozialistische Planwirtschaft nicht eine Mark Wert erschaffen hätten.

Diese Arroganz von damals, für die Rohwedder gleichermaßen Vertreter aber auch Schutzschild war, hat die innere Teilung, die der äußeren folgte und bis heute noch nicht überwunden ist, erst möglich gemacht. Interessant, dass dies gerade eine True-Crime-Doku so aufzuzeigen vermag.

Artikelbild: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1219-036 / CC-BY-SA 3.0

Im Schlachthof der Gesellschaft

Achtung: Pessimimus inside.

Das sind die Errungenschaften der Gammelfleischskandale der letzten Jahre: auf jedem Stück Fleisch, dass wir kaufen können, werden wir über den Herstellungsprozess dergestalt informiert, dass wir wissen oder erfahren könnten, wie es der Kuh ging, die für unseren nächsten Hamburger ihr Leben ließ. Ein wenig erinnert das an das „Restaurant am Ende des Universums“, wo die Kuh an den Tisch kommt und ihre Einzelteile feil bietet und gleichzeitig darüber sinniert, was schön es doch ist, für das Mahl des Gastes gleich dahin zu scheiden.

Was für eine miese Masche das doch ist. Tierschutz wird bei uns groß geschrieben, der Menschenschutz wurde dabei geschickt unter den Teppich gekehrt. Kann ich mir gut vorstellen, wie Agrarministerindarstellerinnen wie Julia Klöckner bei eckigen runden Tischen auf denselben gehauen haben, damit das endlcih aufhört mit dem Gammelfleisch. Und Aldi, Lidl und ihre Schlachterschergen so: ja geil, wir schreiben einfach auf die Packung, woher das Fleisch stammt, dann kann der Kunde selbst entscheiden. Ob er das gute Fleisch nimmt (natürlich teurer) oder weiter die Grillfackel für 20 fucking Eurocent. Am Ende kaufen die beides! Und wir verdienen uns dumm und dusselig. Hauptsache es spricht keiner über die Ausbeutung der Menschen, die den Scheiss verarbeiten müssen.

Geiz ist geil, prima leben und sparen

Prima leben und sparen ist nun viele Jahre unsere Devise gewesen. Unter dem Brennglas Coronakrise kommt aber auch hier ans Licht: was wir an der Aldi-Kasse nicht zahleb, zahlt jemand anderes. Das kann das maltretierte Schwein sein, das im osteuropäischen Hinterland auf einem Quadratmeter in Dunkelheit seinen Tod herbeisehnt, oder der Nachbar aus dem gleichen osteuropäischen Dorf, der als Wanderarbeiter durch den reichen Westen reist und versucht so sich und seine Familie zu ernähren. Die Lösung dafür ist übrigens nicht, nicht beim Discounter und nur noch Bio-Fleisch zu kaufen. Oder di Welt zum Veganismus zu Bekehren. Das kann man alles natürlich machen, in der Hoffnung, bei sich selbst beginnend die Welt ein wenig besser zu machen. Nur hilft das wenig und schon gar nicht jenen, die sich die exorbitanten Preise, die Bio und Regional nun mal unweigerlich kosten, nun einmal nicht leisten können. Zumal die Welt der Bio- und Veganprodukte ja schon längst in den Geiz-ist-geil-Kosmos unseres Konsumkapitalismus voll eingebunden sind. Am Ende wollen ja alle nur Geld verdienen. Und das ist in unserer Welt die Ausrede für alles, ein Quasi-Grundrecht in diesem Land. Ein Recht auf einen sicheren Arbeitsplatz (sicher wie in für lange Zeit und sicher wie in nicht bei der Arbeit krank werden) jedoch gibt es bei uns leider nicht.

Offenlegung: Hier fehlt der Absatz mit der Lösung. Ich sehe keine politische Kraft in diesem Land, ach was auf diesem Kontinent, die eine Änderung der Verhältnisse herbeiführen wollte oder könnte.