RSS
Ein weiteres Phänomen der Bloggeschichte würde ich als the rise and fall of the several RSS formats bezeichnen wollen. Auf keinem Blog der 2000er Jahre fehlte das kleine orangefarbene Icon mit den drei Funkwellen, hinter dem sich eine maschinenlesbare Version des Blogs verbarg. RSS-Reader waren die Programme, die diese Informationen auswerten konnten und so Weblogs in Masse zugänglich machten. Dieses Format war dermaßen wichtig,
- dass sich seine Entwickler*innen über die Weiterentwicklung so zerstritten, dass es das eine RSS nie gegeben hat;
- dass es nicht nur die Verbreitung von Weblogs wesentlich förderte, sondern auch Podcasts zur Geburt und zum Erfolg verhalf;
- dass es, als Google es in die Finger bekam, einen Sargnagel im Niedergang der Blogs von damals bedeutete.
RSS, really simple Sprachverwirrung #
RSS war nur für einen sehr kurzen Zeitraum seiner bis heute andauernden Existenz ein eindeutig definiertes Format. Stattdessen brach schnell Streit um den Inhalt des Formats und die Richtung, in die es sich entwickeln sollte, aus. Erfunden wurde RSS als „RDF Site Summary“ von Netscape, die es 1998 in der Version 0.90 veröffentlichten und auf ihrem „My Netscape“-Webportal einsetzten, um im damals herrschenden Portal-Krieg eine Funktion bereitzustellen, die den anderen fehlte: ein Widget, das Überschriften anderer Websites anzeigen konnte. Der Name referenzierte das Resource Description Framework zwar, hatte damit allerdings wenig bis gar nichts zu tun. In der Version 0.91 von 1999 wurde RDF dann durch XML ersetzt und die Bedeutung des Akronyms zu „Rich Site Summary“ umgedeutet. In dieser Version wurden viele Vorschläge und Tags des scripting news format von Dave Winer integriert, der sein Blog Scripting News damit ausgestattet hatte und sowohl dieses als auch RSS in seiner Blogsoftware Radio UserLand integriert hatte. Winer warb unablässig für das Thema Content Syndication und machte es in der damals noch jungen Blogosphäre bekannt.
Mit der gesteigerten Verbreitung stiegen aber auch die Ansprüche an die Weiterentwicklung des Formats. Da Netscape es selbst nicht weiterentwickelte, versuchten unterschiedliche Parteien, unterschiedliche Ansätze durchzusetzen. Winer wollte das Format in seiner Einfachheit beibehalten, sodass es leicht zu schreiben und zu lesen (also zu programmieren) blieb. Andere wollten es modular erweiterbar machen – durch Namespaces oder die Rückkehr zu RDF. Der Streit ging im Kern darum, ob man nun das semantische Web bauen wollte oder Autor*innen ein einfaches Format zur Syndikation zur Verfügung stellen sollte. Ersteres mag Netscapes Idee bei RSS gewesen sein, Letzteres ist das, was Winer schon mit seinem scripting news format verfolgt hatte.
Winer wurde irgendwann ungeduldig und veröffentlichte Netscapes RSS 0.91 als UserLand RSS 0.91 auf seiner Website. Kurze Zeit später veröffentlichte die ohne Winer gegründete RSS-DEV Working Group ein Proposal für „RDF Site Summary (RSS) 1.0“. Woraufhin Winer seinen Fork weiterentwickelte und RSS 0.92 veröffentlichte.
Auf den Blogs jener Zeiten äußerte sich dieser Streit um das Format dergestalt, dass die Autor*innen ihre Inhalte (dank CMS-Unterstützung) in unterschiedlichen Formaten bereitstellten; schnell gab es unterschiedliche Buttons für die untereinander inkompatiblen RSS-Varianten. Zumal noch weitere hinzukamen: RSS 2.0 (eine Weiterentwicklung von RSS 0.92) und schließlich Atom), ein neues Format, basierend auf XML und Namespaces. Die meisten Feedreader allerdings konnten die meisten der Formate lesen (ganz anders als … ähm … Menschen), deshalb war es mehr eine politische Aussage, welche der Buttons wir in unseren Blogs nutzten. Oder der Ahnungslosigkeit. Oder …: Also, ich mochte die vielen kleinen Blogbuttons.🤪
Podcasts, das erfolgreichste RSS-Feature #
RSS 0.92 hatte neben wenigen inhaltlichen Neuerungen ein Feature, das in der Nachschau die Welt geändert hat: das Tag <enclosure>. Hierin kann eine URL angegeben werden, hinter der sich bspw. ein Audio verbergen kann. Jetzt fielen aber im Jahr 2000 nicht gleich die Podcasts vom Himmel. Zunächst einmal war es nötig, dass Apple 2001 seinen iPod vorstellte. Und es dauerte noch einmal zwei Jahre, bis Adam Curry ein AppleScript vorstellte, das Audiodateien, die per RSS geladen wurden, automatisch auf den iPod übertragen konnte. Der erste Podcatcher war geboren, und der kam noch ohne User Interface aus. Und ohne die Bezeichnung „Podcast“, die erst ein Jahr später gedroppt wurde. Ab 2004 stand Podcasting also in den Startlöchern und wartete auf Erfolg. Der aber eigentlich erst zehn Jahre später wirklich eintrat. Zwar stiegen die Nutzungszahlen kontinuierlich, aber erst ab 2014 explodierten die Zugriffszahlen. Ein Grund dafür war natürlich, dass nun praktisch jede*r einen iPod inklusive Podcatcher in der Hosentasche hatte – der Siegeszug der Smartphones war eine Voraussetzung. Die andere wichtige Sache war, dass ab 2014 Podcasts mit entsprechend non-nerdy Inhalten zur Verfügung standen, z. B. Serial, die Millionen Zugriffe erreichten.
Während Apple schon sehr früh in die Podcastwelt einstieg, dort aber zunächst für Unordnung in Form von Abmahnungen wegen der Nutzung des Begriffs „iPod“ sorgte, gibt es auf Spotify erst seit 2016 Podcasts zu hören. 2019 stieg Spotify mit diversen Zukäufen allerdings sehr stark in die Podcastproduktion ein. Seitdem werden immer mehr Podcasts über Musikstreamingdienste ausgeliefert und immer weniger direkt via RSS.
Google und der Reader #
Jetzt habe ich schon viel darüber geschrieben, wie Dinge mit RSS verbreitet wurden, aber wenig über die Konsumseite der Medaille. Bis zum 13. März 2013 machten das die meisten Blogger*innen, die ich damals kannte, mit dem Google Reader. Mit diesem kostenlosen Service konnten Blogger*innen ihren gesamten Blog-Konsum mithilfe von RSS-Feeds an einem Ort zusammenfassen. Feeds konnten importiert und in Ordnern organisiert werden; je nach Gestaltung bekam man so eigene Startseiten mit ausschließlich Artikeln aus den ausgewählten Quellen. Eine Zeit lang konnten Artikel im Reader auch geteilt werden, diese Funktion wurde jedoch 2011 durch den unsäglichen +1-Button von Google Plus ersetzt. (Dieser Versuch eines sozialen Netzwerks von Google ist ausdrücklich keinen eigenen Link wert.) Das war bis zu einem gewissen Punkt alles sehr praktisch, und für sehr viele Blogger*innen war der Reader sicherlich der erste Einstieg in den Blogging-Alltag.
At its peak, Reader had just north of 30 million users, many of them using it every day. That’s a big number — by almost any scale other than Google’s. Google scale projects are about hundreds of millions and billions of users, and executives always seemed to regard Reader as a rounding error.
Das war Google allerdings nicht genug. Unter der Behauptung, der Dienst würde nicht erfolgreich genutzt, schaltete man den Reader unter großem Protest einfach ab. Dieses Video erklärt die Situation irgendwie sehr gut. Der Google Reader wurde dem aufkommenden Web 2.0 geopfert …
RSS, an der Sollbruchstelle zu Social Media #
Was bei den technischen und politischen Betrachtungen bisher untergegangen sein mag, ist die Frage nach dem „Warum das alles?“. Warum waren (und sind) RSS und Atom so wichtig? Und warum haben sie ihren Stellenwert verloren?
„There was a fantastic universal sense that whatever we were doing was right, that we were winning…
And that, I think, was the handle — that sense of inevitable victory over the forces of Old and Evil.
Not in any mean or military sense; we didn’t need that. Our energy would simply prevail.
There was no point in fighting — on our side or theirs.
We had all the momentum; we were riding the crest of a high and beautiful wave…
So now, less than five years later, you can go up on a steep hill in Las Vegas and look West, and with the right kind of eyes you can almost see the high-water mark — that place where the wave finally broke and rolled back.
Was RSS den Blogs der 2000er Jahre gebracht hat, war Vernetzung. Einzelne im Raum existierende Weblogs vernetzten sich via RSS zu inhaltlich größeren Einheiten. Ich schätze, die meisten Konsument*innen von Weblogs waren auch gleichzeitig Betreiber*innen mindestens eines Blogs. Und jede*r Leser*in kuratierte sich das schier endlose Angebot an Inhalten in seinem RSS-Reader. Die Inhalte wurden dort gelesen oder es wurde zumindest entschieden, ob man das Blog besuchen, den (ganzen) Artikel lesen und ggf. noch kommentieren wollte.
Im Google Reader entstand eine zusätzliche Ebene, die den Content dort miteinander verwob – einerseits durch Tags, vor allem aber durch die Sharing-Funktion, mit der man Artikel, die man entdeckt hatte, sammeln und weitergeben konnte, wieder als RSS-Feed. Es entstanden Inhaltsnetzwerke, basierend auf freien Technologien und offenen Standards. Nur war es eben auch ein Fehler, sich dabei auf Firmen wie Google zu verlassen – das zeigte das Ende des Readers sehr deutlich. Statt daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, wurde genau in dem Moment alles noch viel schlimmer, und Facebook, Twitter usw. begannen ihren Siegeszug (mit den bekannten Auswirkungen). Das waren dann die wirklichen Sargnägel der Blogosphäre …
Das Lustige an offenen Standards ist aber, dass sie so schnell nicht weggehen. RSS oder Atom gibt es natürlich immer noch. Meinen Feed erreichst du beispielsweise hier. Und immer noch (oder wieder) werden Dienste auf diesen Standards gebaut. Und Blogs sind ja auch immer noch da. Es ist also noch nicht alles verloren. RSS ist nicht tot, es riecht nur komisch.