Keine Lockdown-Euphorie
Zur Zeit empfehle ich allen, die Doku-Serie „Charité intensiv“ anzusehen. Hier ist zu sehen, wie es auf den Intensivstationen zugeht in Zeiten von Covid-19. Es sind Bilder von Sterbenden, von verzweifelten Pflegern und Ärzten, von erschütterten Angehörigen. Bilder die einem sofort sagen: das will ich nicht erleben. Und noch viel wichtiger: das soll meine Familie nicht erleben. Darum wollen müssen wir #LebenRetten.
Und dann merke ich sofort, wer diese Serie nicht gesehen hat: die meisten Politiker:innen, die dieses Land regieren. Denn sonst würden sie anders handeln, das Leben meiner Familie nicht aufs Spiel setzen, mein Leben, unser aller Leben. Denn nichts anderes bedeutet die aktuelle Entwicklung.
„Verstehe ich das falsch, oder klatschen jetzt alle Beifall für eine sog. bundesweite Notbremse, deren einziges Ziel ist, die Inzidenz unter 100 zu halten?“
Quellenangabe: Twitter
Ich hatte mir da falsche Hoffnungen gemacht. Noch letzte Woche habe ich gefordert, dass Angela Merkel, dass die Bundesregierung die nutzlose Ministerpräsident:innen-Konferenz entmachten möge und die Entscheidungsgewalt per Infektionsschutzgesetzt an sich ziehen möge. Doch was ist dabei herausgekommen? Ein kleines Nichts. Ein festschreiben des Status Quo. Lediglich ein bundesweites Durchsetzen der viel zu laschen Notbremse-Beschlüsse eben jener besagten Ministerpräsident:innen-Konferenz. Plus Ausgangssperre.
Der Gedanke hinter diesem Gesetzentwurf ist eindeutig, die Inzidenz um einen Wert von 100 einzupendeln. Wie bei einem technischen Regelkreis: geht der Wert über 100 werden Maßnahmen ergriffen, sinkt er darunter, gibt es Öffnungen, so dass sich der Wert bei 100 einpendeln wird. Wo sind vorige (auch schon zweifelhafte) Werte hingekommen, wie 50 oder gar 35?
„Kitas und Schulen erst ab einer Inzidenz von 200 zu schließen ist ein Bisschen so, als würde die Feuerwehr erst anfangen zu löschen, wenn mindestens die Hälfte des zu löschenden Hauses brennt.“
Was ist das Ziel? Tatsächlich beinhaltet das sog. Notbremse-Gesetz überhaupt kein Ziel, auf das wir uns als Gesellschaft einigen könnten. Es bedeutet einfach weiter fahren auf Sicht. Das ganze ist nicht nur handwerklich schlecht gemacht und orientiert sich an den falschen Werten. Es ist auch politisch das völlig falsche Signal! Denn es bedeutet, dass wir akzeptieren, dass weiter Menschen sterben. Und da hier so viel Wert auf das Öffnen gelegt wird, wissen wir auch, wofür diese Menschen geopfert werden sollen: für offene Eiscafés und offene Schulen. Und natürlich für den Teil der Wirtschaft (alles außer Kultur und Gastronomie), die schon bis jetzt nichts zum Kampf gegen die Pandemie beigetragen haben.
Für viele bedeutet es aber konkret, dass sie sich weiter in ihrer Wohnung einschliessen müssen, bis sie endlich geimpft sind. Ja, diese Lockdown-Euphorie, einfach nicht auszuhalten.
Update: Link zum Inhalt des Entwurfs geändert, da inzwischen noch weitere Punkte wegdiskutiert wurden, u.a. die Homeofficepflicht.
Update: Link zur Geschichte der Inzidenzen nachgetragen.
Artikelbild: Aisano, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
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