Stay home for christmas!
Seht! Überall auf den Tannenspitzen, seh’ ich Bigotterie und Wahnwitz sitzen.
Ertränkt in Glühwein
Ach, Weihnachten, das Fest der Liebe. Während es draußen schneit, kuschelt sich die versammelte Großfamilie am warmen Kamin zusammen. Ein Weihnachtslied auf den Lippen, beschenkt man sich gegenseitig, mit liebevoll ausgesuchten Kleinigkeiten und… an dieser Stelle mag sich die geneigte Leser:in das Geräusch einer Kreissäge vorstellen, die versucht einen Betonblock zu zerteilen. Und wie vorige Szene nach unten aus dem Bild fällt, dazu vielleicht noch das Klirren der teuren Chinavase, welche die verfluchten antiautoritär erzogenen Kinder von Tante Margot gerade umgeworfen haben…
Denn das Gegenteil ist die Wahrheit. Geschenke kaufen in letzter Sekunde. Die schon erwähnten nervigen Kinder von Tante Margot. Überhaupt, das in jeder Hinsicht fürchterliche Treffen mit der lästigen Verwandtschaft. Das stundenlange im Stau stehen auf dem Weg hinaus in die Einöde der Geburtsdörfer. Der retraumatisierende Besuch im Elternhaus, aus dem nach jahrelanger Qual endlich die Flucht in die Großstadt gelang. Unsere Generation hat längst Schluß gemacht, mit dieser Hollywoodkulisse zwischen den Jahren. Die Kindheitserinnerungen, die durch den Geruch von Zimtsternen und Gewürznelken getriggert werden, haben wir schon vor Jahren in literweise Glühwein ertränkt.
Verwandtschaft, Politik, Querdenker
Aber nicht dieses Jahr. Aus irgendeinem mir nicht ersichtlichen Grund, ist sich die deutsche Seele gerade in diesem Jahr einig: Weihnachten ist schön! Das Fest der Liebe! Und es muss gefeiert werden: zusammen, mit der ansonsten nervenden Verwandtschaft, unbedingt mit Oma und Opa als Ehrengäste. Koste es was es wolle! Und ich so: What? The? Fuck? Gerade im Jahr eins während Corona, wäre es das absolut Sinnvollste, alles was mit Familienzusammenkunft zu tun hat, zu meiden wie der Teufel den Weihnachtsbaum. Alles was sich die versammelten Weihnachtsmuffel immer gewünscht haben: sich zu Hause gemütlich einigeln, Oma im Heim, Mama und Papa im Dörfli lassen und einmal das tun, wovon man die Jahre davor nicht zu träumen wagte. Etwas trinken, weil man nicht noch spät in der Nacht nach Hause fahren muss. Einen Horrorfilm gucken, weil nicht die lästigen Nichten und Neffen zugegen sind. Und nicht dauernd auf den Baum starren, aus Angst er könnte gleich niederbrennen. Der Lockdown gäbe uns nicht nur die Möglichkeit dazu, es gebietet quasi genau das.
Stattdessen sind sich bucklige Verwandtschaft, weite Teile der Politik und die querdenkende Minderheit endlich einmal einig: Weihnachten ist das Fest der Deutschen und muss unter allen Umständen gefeiert werden. Es gibt nichts wichtigeres. (Ausser böllern an Silvester vielleicht, dagegen zieht der Deutsche dann auch mal vor Gericht.) Aber Weihnachten… das ist so wichtig, dass wir alles riskieren. Die ganze Mär vom “harten Lockdown” geriet zu einer völlig inkongruenten Botschaft, als verkündet wurde: Kontaktsperre ja, aber nicht an Weihnachten. Das und die sinnlose Behauptung, Schulen seien nicht die Treiber der Pandemie.
Es gibt dieses Jahr keine “Weihnachtsgratikfikation”
Darum nochmal. Zum Mitschreiben. Ihr da draußen… und ich sage schreibe ihr da draußen, weil ich hier drinnen sitze, seit neun fucking Monaten… macht es wie wir: feiert dieses Jahr kein Weihnachten. Fahrt nicht zu Mama und Papa. Bleibt wo ihr seid, mit dem Arsch zu Hause. Hört auf Leute anzustecken. Macht das, für die anderen Idiot:innen, die es nicht verstehen, die in den Urlaub fliegen, die Opa für seine letzte Weihnachtsfeier aus dem Seniorenheim entführen, die wegen Mamis Weihnachtsgans durch die ganze Republik fahren. Ja! Das kann Streit bedeuten mit den Eltern, enttäuschte Gesichter, Seufzer am Telefon. Es birgt aber die Chance, vielleicht nächstes oder übernächstes Weihnachten die Möglichkeit zu haben, wieder Weihnachten zu feiern gemeinsam, statt die Eltern auf dem Friedhof besuchen zu müssen. Es ist nun mal so, dieses Jahr fällt Weihnachten ins Wasser. Es gibt halt keine Weihnachtsgratifikation!
Und wenn Corona dann eines Tages vorbei ist, könnt ihr euch alle wieder aufregen darüber, dass man die Feiertage mit den lästigen Verwandten verbringen muss. Und den fiesen Kindern von Tante Margot.
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