Besuch in Auschwitz und Birkenau
Ich habe Auschwitz und Birkenau vor rund 25 Jahren als Leiter einer Jugendgruppe besucht. Vor 15 Jahren habe ich diesen Artikel darüber geschrieben, den ich hier heute zum Anlass des 75. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz wiederhole.
Über dem Tor schwingt sich das schmiedeeiserne “Arbeit macht frei”, direkt am Eingang die grausame Manifestation faschistischen Zynismus, für uns heute liegt er auf der Hand, was aber haben die Gepeinigten damals gedacht, wenn man sie durch dieses Tor führte. Frei, das mag wie ein Versprechen geklungen haben, hinter dem Tor wartete jedoch das absolute Grauen. Besucht man das KZ Auschwitz, muss man diesen Gang gehen, und das ist nicht leicht. Viel hat man sicherlich gelesen, Filme gesehen, vielleicht in der Schule gelernt, aber just kurz vor dem Eingangstor stellt man sich eben doch die Frage “bin ich auf das 'was gleich kommt vorbereitet?”. Man ist es nicht. Denn es kommt nichts.
Auschwitz stellt man sich als das Vernichtungslager vor, so wie wir es aus den Filmen kennen. Aber Auschwitz I selbst sieht man in Filmen eher selten. Das Hauptlager Auschwitz ist nicht so groß, wie man es sich vorstellt. Und gleicht auch eher einem Gefängnis. Keine Baracken, sondern Steinbauten, ein- und zweistöckig. Keine gigantischen Exerzierplätze, man hat sich das irgendwie anders vorgestellt.
Koffer von Opfern in Auschwitz I (Foto von Jean Carlo Emer)
Die Führung hat den Charakter eines Museeumsbesuches, man sieht Gefängniszellen, leere Folterkammern, eine schwarze Wand an der wohl Erschießungen stattfanden. Natürlich ist das schockierend, aber nicht so wie ausgemalt, irgendwie ist alles so weit weg, man konsumiert die Fakten, wundert sich vielleicht beim Anblick des Wohnhauses des Kommandanten. der tatsähclich mitsamt seiner Familie mitten im Lager wohnte. Zum Ende hin dann wird es einem doch mulmig: die Berge von Koffern, Schuhen, ein Berg von Brillen, deuten an, wieviele Menschen das Lager einst betraten, aber nicht lebendig verlassen konnten.
Beendete man an dieser Stelle seinen Besuch in Auschwitz, wäre es nichts mehr als ein Besuch im Museeum des Grauens. Im Grunde viel zu erträglich, und dabei meine ich nicht eine Gier nach Sensation oder ähnliches. Beinahe fragt man sich, wie abgebrüht man ist, einen solchen Besuch ohne tieferes Entsetzen zu überstehen.
Das Tor von Birkenau (Foto von Severinus Dewantara)
Dann setze ich mich wieder in den Bus und es geht nach Birkenau. Birkenau war ein Teillager von Auschwitz, in einigen Kilometern Abstand vom Hauptlager und Stadt. Birkenau liegt in der Einsamkeit. Der Bus hält in der Nähe des Turms, den ich aus etlichen Darstellungen zu Thema Auschwitz kannte, der Turm über dem Eingangstor durch das die berühmte Eisenbahntrasse führt. Dieser Turm ist auch unsere erste Station, ich steige hinauf und gelange in einen rundum verglasten Raum, und von hier aus kann ich beinahe das ganze Lager überblicken. Das ist der Augenblick in dem es laut Klick macht, es läuft mir kalt den Rücken herunter. Denn was ich vom Hauptturm des Vernichtungslagers Birkenau sehe offenbart mir auf einen Schlag die ganze Dimension des Holocausts. Von dieser Stelle gesehen kann ich, wie gesagt, beinahe das ganze Lager sehen. Beinahe, weil es grösser ist, als ich an diesem diesigen Tag schauen kann. Es scheint sich unendlich weit zum Horizont zu strecken, Birkenau so weit das Auge reicht. Ich sehe die Baracken, viele stehen nicht mehr, aber die Ruinen und die Anlage der Wege zeigen, dass dort einst hunderte, vielleicht tausende dieser gigantischen Holzbauten waren. Ich weiß aus den Filmen, wieviele Menschen jeweils in einer Baracke zusammengepfercht wurden, die Rechnung endet bei einer unfassbaren Zahl. Und dabei wurden die meisten gleich ermordet. Vom Turm gesehen liegt vor uns die Bahnrampe, dort, wo die Opfer ankamen und die “Selektionen” stattfanden, die Auswahl, ob man zur Arbeit oder direkt ins Gas musste. Diese Bahnrampe reicht auch beinahe bis zum Horizont. Und obwohl es nun keine Führung mehr gibt, oder gerade deswegen, kann ich die Szenen erahnen, die sich hier abgespielt haben müssen.
Weit in der Ferne sieht man die Krematorien, oder das, von von Ihnen noch übrig ist. Davor die Gebäude, die wohl die Gaskammern beherbergten. Ich weiss das nicht genau, wie gesagt, es gibt hier keine Führung, niemand, der mich bei der Hand nimmt, ich bin meinem Wissen und meiner Phantasie ausgeliefert. Wie jeder Besucher hier. Ich laufe über dieses riesige Areal und ohne Hinweistafeln, Vortrag und Anleitung, ist das Grauen realer als je zuvor. An einem Tümpel, einst wohl eine Grube in die Asche entsorgt wurde, untersuche ich den sandigen Rand des Gewässers. Der Boden besteht aus ein Mischung von hellem Sand und klitzekleinen Knochensplittern.
Beitragsbild von Leonor Oom.
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