Just listening: alte Platten und ein Seelen(s)trip

Thema:

We’re gonna go back in time… way back…

Bei einem Ausflug in meinen Abstellraum, der eigentlich eine Speisekammer ist, nein, in Wahrheit ist es umgekehrt, also jedenfalls steht da das Plattenregal mit den LP’s, die ich nicht im täglichen Zugriff brauche, um mal zum Punkt gekommen, mir sind ein paar Scheiben in die Hände gefallen, aber seht selbst…

Nunja, man soll seine musikalische Vergangenheit ja nicht leugnen, auch wenn man die letzten Jahre als total eingebildeter und hochnäsiger Technominimalhouse-zum-auflegen-viel-zu-fein-Deejay durch die Lande gezogen ist. Confess, confess! Touch the screen! Und ich geb’s zu, ich hab’ ja so ziemlich alles gehört, was nicht in deutscher Sprache daher kam (von den viel zu kurzen NDW-Zeiten einmal abgesehn) und irgendwie ein Quell für Rebellion und Aufstand sein konnte. Na klar, Punk und Metal und das was man damals “black music” nannte, aber Gothicrock damit meinte, war auch dabei. Junge, das waren harte Zeiten, im Gegensatz zu heute inklusive etlicher Konzertbesuche. Immer der gleiche Ablauf: rein in den 2CV (“moshing duck” !!!), ab nach Bremen in den Schlachthof, irgendwelche unbekannten Metal- und Punkacts reinziehen und danach McDonald’s entglasen oder mit den Glatzen kloppen (oder besser beides). Etliche Tondokumente aus dieser Zeit sind verfallen (hunderte Compact-Kassetten mit Radiomitschnitten) oder ich habe sie, sicherlich schweren Herzens verkauft. Aber einige hab ich dann doch zurückgehalten. Und davon widerum will ich mal ein paar hier auflisten. Interessanterweise scheint es die meisten Bands noch zu geben (wenn nicht bereits wichtige Bandmitglieder der Tod ereilte) und natürlich findet man sie im Netz.

Sodom “Persecution Mania” Thrash-Metal nannte man damals die für uns durchaus konsequente Fortsetzung von Speedmetal, obwohl ich mich da nicht festlegen will, um solche Stilfragen hat man sich damals wenig gekümmert. Hauptsache die mit Killernieten gepflasterte Lederjacke saß richtig, sowas war eben wichtiger. Und so landete eine in Fragen der “political correctness” durchaus umstrittene Scheibe wie diese von Sodom in meiner Sammlung. Persecution Mania heisst soviel wie Verfolgungswahn, Persection alleine aber auch nur Verfolgung. Aus dem über allerlei heftigstes Geschrabbel gelegte Gebrülle von Tom Angelripper konnte man alles und nichts heraushören, was wirklich auffiel war der Song “Bombenhagel” (!) in den die deutsche Nationalhymne eingepflegt war. Anderseits, jeder hört was er hören will, und so verbinde ich mit meinem Favoriten, dem Motörhead-Cover “Iron Fist” auch keine Erinnerungen an Diskussion ob Metal denn nun grundsätzlich eine rechte Musik sei (obwohl es die gab), sondern es huschen verschwommene Bilder von Jagdszenen durch den Bremer Hauptbahnhof (Nord-nach-Süd: vor uns ein Rudel Skinheads, hinter uns die Polizei; Rückweg: alles umgekehrt) durch den Kopf. Harte Spiele hatten wir damals.

Suicidal Tendencies “Join the Army” & “How will I love tomorrow when I can’t even smile today?” Obwohl ich niemals sicher auf einem Skateboard stehen konnte oder gar richtig surfen (mein Bodyboard gilt wohl nicht), haben mich die Skatepunkbands doch ausgesprochen fasziniert. Ihre Lebensphilosophie, saufen und abhängen, ließen sich zwar selten vollständig in meine kleine Welt integrieren, aber wozu gab es Wochenenden?

Suicidal Tendencies “Pocessed to Skate” ist eine Hymne, für was auch immer, und damals schon mit einem echt abgefahrenen Video ausgestattet, das zeigte wie aber nicht wo wir damals nicht sein wollten: in Venice, Kalifornien, im Kampf gegen die Eltern. Trotzdem, die Hispanoskater aus dem Sunshinstate gehörten lange zu meinen absoluten Favoriten. Bis wir sie live gesehen haben, 1988 schätze ich im Aladin in Bremen. Ernsthaft und verbissen und mit den Bier-Metal-Combos, die man sich damals sonst reintat, nicht vergleichbar. Langweilig. Die beiden Scheiben jedoch sind IMHO bis heute ungeschlagen.

Slime “I” Ein wirklich legendäres Album. Die endgültige Hinwendung zur Punkmusik, im Gegensatz zum Metal habe ich mich dort aber Kleidungsmäßig nicht weiter engagiert. Slime, das war (und ist?) Musik zum mitgröhlen gewesen, einfache Parolen, leicht zu merken (“We don’t need the Army”) und doch brachte diese Einfachheit die Ideen damaliger Zeit zum Ausdruck. Einfache Ideen einfache Lieder. Das ich mich später dann doch den interlektuelleren Zirkeln mehr zuordnete, Slimes Schuld ist das sicherlich nicht gewesen. Aber im Nachhinein betrachtet hat man doch zu beiden Lebensphasen gleich wenig bewegt, “A.C.A.B.” gröhlend Demos aufmischen oder in tagelangen Konferenzen über die “Isolationsfolter” diskutieren, scheissegal. Ersteres hatte wenigstens noch einen gewissen Spaßfaktor. Zurück zu Slime, die konnten wie gesagt wenig dafür, die haben mir jedenfalls immer am besten Gefallen, wenn sie versuchten in Reggaegefilden zu plündern. Ganz einfach Satire, wahrscheinlich ungewollt. Und der immer noch ungeschlagene Hit ist der “1,7 Promille Blues”, Realsatire, dass sich so schön Ton, Steine, Scherbenmäßig anhört. Übrigens Slime sollen justament vorgestern ihre DVD veröffentlich haben. Time goes on.

Rumble Militia “Fuck Off Commercial” & “En Nombre del Ley” Es hat mich wirklich überrascht über die Bremer Band Rumble Militia überhaupt noch etwas im Netz zu finden. Und laut Homepage gibt es keine Reunion, weil man sich nie aufgelöst hat, hört hört. Vielmehr wäre man noch genauso wie immer. Das will etwas heissen, denn Bandleader “Staffi” ist echt krass. Siehe Bilder auf der Homepage. Für mich war er wohl der erste “Star zum Anfassen”. Irgendwann 1988 wohl haben wir unseren Lieblingspunker einfach mal angerufen und uns mit ihm zu einem Interview für unsere Schülerzeitung “Die Wanze” verabredet. Staffi wohnte damals im tiefsten Gröpelingen und empfing uns zu einem dreistündigem Gespräch über die Band, aber vor allem über Politik, linksaussen selbstverfreilich. Ein wirklich tolles Erlebnis, das bis heute seine nachweisbare Konsequenz in der Nennung in den Credits von Rumble Militias zweiter Veröffentlichung “En Nombre Del Ley” behalten hat: “Hello to… Nico Brünjes (“Moshing Duck”), Tim V. und Stefan H. of Wanze.” Junge, war das aufregend.

Selbstverfreilich haben wir jedes erreichbare Konzert mitgenommen, immer mal wieder im Bremer Schlachthof, mit schon weiter oben erwähntem Programm. Staffi war immer gerne dabei, wenn es darum ging den ersten Stein zu werfen, kann man kaum anders sagen. In dem Zusammenhang: ich werden niemals den orientierungslos umherirrenden Tim vergessen (der seine Brille ob der zu erwartenden Konzertanstrengungen im Wagen gelassen hatte): “Wo sind die Scheissglatzen? Wohin soll ich werfen!” Hihi, Streetfighterromantik. Und Rumble Militia gehört eben dazu. Aber im Gegensatz zu schon benannten Parolensängern, hatten “Rumble” einen wirklich gefestigten politischen Hintergrund, der weit über das normal Punk-Null-Bock-Gehabe hinausging, was sich letztlich auch an Titel wie “Chile under Pinnochet” manifestierte. Staffi erkannte in seinen Texten regelmäßig die konkreten politischen Probleme (so wie wir sie sahen), allerdings mit einem Hang zu einfachen Lösungen.

Das dürften dann so meine absoluten Favoriten aus der damaligen Zeit gewesen sein. Aus der Plattenrezension ist ein Seelenstrip geworden, wie mir scheint. Inzwischen sehe ich natürlich vieles anderes (wie kann es auch anders sein), aber längst nicht alles, wie so viele unserer “Mitstreiter”. Da fällt mir die Geschichte des im kleinen Delmenhorst stadtbekannten Antifavordenker ein, der heute Rechtsanwalt ist (Papi hat so ein nettes Haus für die Kanzlei gebaut), Audi TT fährt, sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit ins Studio von Radio Bremen Fernsehen drängelt und inzwischen wohl Mitglied der CDU geworden ist. Aber das steht auf einem anderen Blatt… Die Platten jedenfalls hole ich nur ganz selten aus dem Regal, wenn ich punkiges will, sind mir die Dead Kennedys heute lieber, meine Metalambition gehen über Metallica nicht mehr hinaus, aber trotzdem, manchmal…

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