Anton Jäger: Hyperpolitik

Themen: und

Selten ist mir ein Schlagwort so schnell eingängig gewesen, wie „Hyperpolitik“, welches, geprägt durch den Belgischen Historiker Anton Jäger, die Phase beschreibt, in der sich unsere Gesellschaft, in der sich die ganze Welt gerade befindet. Hyperpolitik beschreibt eine zunehmende Politisierung breiter Bevölkerungsschichten, die sich in kurzfristig geäußerten Bekenntnissen ausdrückt, doch politisch folgenlos bleibt.

Cover Hypoerpolitik, Edition Suhrkamp
Ein gutes Buch, das keinen Spaß macht.

Jägers Buch[1] ist ein Ritt durch 150 Jahre Demokratiegeschichte: vom späten 19. Jahrhundert bis etwa 1990 herrschte die Massenpolitik, die sich durch einen hohen Grad der Politisierung der Gesellschaft, mit starker Institutionalisierung bspw. in Parteien, Gewerkschaften, Vereinen etc., ausdrückte. Die darauf folgende Phase der Postpolitik, war durch eine geringe Politisierung und auch Institutionalisierung der Gesellschaft gekennzeichnet. In dieser Zeit verloren Gewerkschaften und Parteien massenhaft Mitglieder, Politik wurde nur noch von Technokrat*innen und Berufspolitiker*innen gemacht. Seit der Bankenkrise 2008 regte sich dagegen Widerstand, es folgte eine kurze Phase der Antipolitik, in der zwar die Politisierung bei einzelnen Gruppen hoch war, die Institutionalisierung jedoch nicht zurückkehrte. Bewegungen wie Occupy Wallstreet, die sich einer Institutionalisierung ausdrücklich verweigerten, waren dazu verdammt, nach einer kurzen Phase der Aufmerksamkeit, beim Abebben derselben zu vergehen und wenig zu bewegen. Schließlich beginnt laut Jäger mit der bis heute fortbestehenden Multikrise eine Phase der gesamtgesellschaftlichen Repolitisierung, ebenfalls ohne Institutionalisierung. Nele Pollatschek beschreibt es in der SZ, als die „Phase der plötzlichen Repolitisierung, die die Welt nach dem Trump-Brexit-Moment erfasste, eine Zeit, in der alles politisch ist und nichts Politik. In der sich alle erregen und sich trotzdem nichts ändert, in der die Linke Aufmerksamkeit bekommt und die Rechte Wahlerfolge, in der Politisierung zwar zu schnellen, hochsymbolischen Zeichen führt, das ‚starke langsame Bohren von harten Brettern‘, welches Max Weber einst als das Wesen der Politik bezeichnete, aber weitgehend ausbleibt.“[2] Jäger selbst nennt es im Interview so: „Eine Politisierung ohne Institutionalisierung, ein Engagement ohne robuste Organisation. Menschen sind zwar politisch engagiert, aber gleichzeitig ist es schwierig geworden, dieses Engagement dauerhaft zu konsolidieren. Es bleibt unstrukturiert und spontan“[3] und bezieht sich dabei auch direkt auf den Protest gegen die angebliche Alternative: „Es gibt eine breite Schicht in Deutschland, die sich gegen den Aufstieg der Rechtsextremen engagieren will. Aber wie wir jetzt wieder beim AfD-Protest sehen, ist es schwierig, dieses Engagement zu institutionalisieren. Zwar haben sich Gewerkschaften und Parteien eingebracht, aber diese organisatorische Infrastruktur ist größtenteils zu schwach.“[4]

Wenn ich mich umschaue, ehemals auf Twitter, heute auf Mastodon, wenn ich mir das nun über 20jährige Hineinschreien in einen Wald, der nur selten antwortet, was mein Blog glaube ich hinsichtlich seiner politischen Wirksamkeit ganz gut beschreibt, wenn ich mir den unendlich Zyklus von Hype und Empörung so anschaue, dann verstehe ich genau, was Jäger mit Hyperpolitik meint. Ich sehe es wie die schon erwähnte Nele Pollatschek: Ein gutes Buch, das keinen Spaß macht.


  1. Anton Jäger: Hyperpolitik. Extreme Politisierung ohne politische Folgen. Suhrkamp, Berlin 2023 ↩︎

  2. Nele Pollatschek: „Es ist nicht alles politisch“(€), Süddeutsche Zeitung, 12. Oktober 2023 ↩︎

  3. Ich nenne das Hyperpolitik“, Interview von Julia Lorenz und Ann-Kristin Tlusty mit Anton Jäger, ZEIT ONLINE, 08. Juni 2024 ↩︎

  4. ebenda ↩︎

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